Der Rinderwahn und die Strafängste beim Fleischverzehr
Schallstadt-Mengen (ots) – Der „Rinderwahnsinn“ BSE ist nicht auf Rinder begrenzt: Die Infektion verweist zusammen mit anderen Bedrohungen auf eine Störung in unserem kulturellen Organismus. „Die Erregung in Presse und Öffentlichkeit bringt die Angst zum Ausdruck, dass wir es mit zerstörerischen Konsequenzen unserer eigenen Lebensweise zu tun bekommen, aber nicht in der Lage sind, das Übel in den Griff zu kriegen“, erklärt Dr. Christoph B. Melchers, Leiter des psychologischen Forschungsinstituts ifm Wirkungen + Strategien in Köln und Freiburg. Das ifm ist den Sorgen der Konsumenten mittels Tiefeninterviews nachgegangen. Die Kernergebnisse: Die Informationslage zu BSE bringt die Verbraucher in die Unsicherheits-Zwickmühle. Die Befragten stehen vor dem Dilemma, die Sache entweder zu leicht oder zu schwer zu nehmen. BSE führt ihnen vor Augen, dass sie lebenswichtige Prozesse nicht mehr selber beurteilen können. Als Ausweg erscheint daher der Ruf nach dem Staat. Die BSE-Krise ist eine Krise des staatlichen Verbraucherschutzes. Der Ruf nach staatlichem Schutz fördert jedoch die Unsicherheit, anstatt sie zu mindern. Wieder einmal fühlt man sich von offizieller Stelle hinters Licht geführt: Der Staat jedoch will die Bürger „bezahlen“ lassen. BSE erweckt „alte“ Schuldgefühle und Strafängste in Bezug auf den Fleischgenuss, die nicht mehr von Ritualen aufgefangen werden. Die Beunruhigung durch BSE fußt auf grundlegenden psychologischen Problemen des Fleischverzehrs. Dr. Christoph B. Melchers: „Anders als beim Verzehr eines Puddings oder Salats sind beim Fleischkonsum kollektive Skrupel gegenüber den verzehrten Tieren wirksam.“ Traditionell werden diese Skrupel bearbeitet, indem der Verzehr von Fleisch zu einer kleinen ,Feier‘ ausgestaltet wird. Wird einem Tier schon das Leben genommen, dann soll sein Wert immerhin durch bestimmte Rituale gewürdigt werden. Prototypisch dafür ist der Sonntagsbraten mit seinen Zubereitungs- und Verzehr-Zeremonien.
„Die lange schon um sich greifende Gewohnheit, Fleisch gedankenlos und informell zu verzehren, hat die Schuldgefühle wachsen lassen und bei immer mehr Menschen zu einem wachsenden Unbehagen am Fleischkonsum geführt“, betont Dr. Melchers. Hört man nun auch noch, dass die zum Verzehr bestimmten Tiere durch die Verfütterung von Tiermehl zu Kannibalen gemacht wurden, dann erscheint das als drastischer, kaum mehr gut zu machender Frevel an den Tieren. Als jemand, der Appetit auf Fleisch hat, fühlt man sich mit schuldig. Dr. Melchers:
„BSE erscheint daraufhin als die gerechte Strafe für den abwertenden und entwürdigenden Umgang mit Tieren.“ Die BSE-Aufregung ist Symptom einer kulturellen Krise. Zusammen mit Waldsterben, Kernenergie, Ozonloch oder Klimakatastrophe weist BSE auf ein kulturelles Trudeln hin: An allen diesen Themen wird versucht, ein Gefühl dingfest zu machen, dass in unserer Kultur etwas grundlegend verkehrt läuft. Indem diese Themen kommen und gehen, zeigt sich beunruhigenderweise jedoch, dass sich das Trudeln selbst dem Zugriff entzieht.
Das Markt- und Medienforschungsinstitut ifm Wirkungen + Strategien mit Sitzen in Freiburg und Köln arbeitet seit Jahren für zahlreiche deutsche Food Hersteller. Es erforscht unter anderem die Verbrauchermotivation und ihre kulturellen Hintergründe. Eine ausführliche Darstellung der Studie ist im Internet erhältlich.