Narkose kritisch hinterfragt!

Weltweit werden Ferkel bisher auf konventionell und ökologisch wirtschaftenden Betrieben ohne irgendwelche anästhetischen Maßnahmen kastriert. Aus Tierschutzgründen wird EU-weit seit langem nach Alternativen hierzu gesucht. Zur Diskussion stehen die CO2- oder Isoflurannarkose.

Narkosegerät im Einsatz

In Deutschland hat sich der “Neuland - Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung” für die Isoflurannarkose bei der Kastration ihrer 10.000 männlichen Ferkel bei gleichzeitiger Anwendung eines Schmerzmittels entschieden. Bei der Narkose muss nach deutschem Recht ein Tierarzt anwesend sein. Einer der Träger von Neuland ist der Deutsche Tierschutzbund, der zeitgleich die Kampagne “Ferkelprotest” gegen das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln gestartet hat.

Bedenken

Der Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion (ZDS), die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschland (ISN) und der Deutsche Bauernverband (DBV) sehen in dem Vorgehen von Neuland für die 20 – 25 Millionen männlicher Ferkel keine Problemlösung.

Dieses Verfahren sei aufwändig und teuer. Nach deutschem Recht dürfe nur ein Tierarzt eine Betäubung vornehmen. Isofluran sei in Deutschland als Betäubungsmittel für Schweine noch nicht zugelassen und es bestünden seuchenhygienische Bedenken, weil sich aus Kostengründen mehrere Betriebe ein Narkosegerät teilen müssten. Außerdem gäbe es Bedenken aus Gründen des Anwenderschutzes und des Umweltschutzes. Die drei Verbände berufen sich auf einen Expertenworkshop der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde (DGfZ) im November 2007 zum Thema Alternativen zur bisherigen Ferkelkastration, nach dem alle Betäubungsverfahren mit erheblichen Problemen und mit teilweise starken Stressbelastungen für die Ferkel verbunden seien.

Praxisgerecht?

Foto Dr. Schulze-Horsel

Eine Anästhesie mit Narkosegasen wie Halothan, Isofluran oder CO2/O2 erfordert einen hohen apparativen Aufwand (Narkosegerät, Betäubungsvorrichtung) und birgt die Gefahr der Nebenwirkung für die beteiligten Personen. Der Landwirt muss in einem äußerst engen Zeitfenster arbeiten: Innerhalb von 90 Sekunden muss das junge Tier kastriert und das nächste schon wieder vorbereitet sein. Der postoperative Schmerz, der mit Sicherheit kurze Zeit nach der Kastration auftritt und über Stunden anhält, wird durch eine Narkose nicht verhindert und muss durch Schmerzmittel (nichtsteroidale Antiphlogistica) gelindert werden.

Darüber hinaus muss während der Anwendung die Körpertemperatur der Ferkel überwacht werden, da beim Einsatz von Isofluran bei kleineren Tieren sehr schnell eine Unterkühlung auftreten kann. Weitere bekannte Risiken sind eine herabgesetzte Atmung, ein verlangsamter Herzschlag und starker Blutdruckabfall (2,3).

Wie eine CO2 -Narkose unter Praxisbedingungen durchgeführt wird, kann man hier auf den Internetseiten von "Trouw TV" sehen. Hier anklicken.


Risiken

Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic weist aus fachlicher Sicht über Konsequenzen und Risiken, die aus einem großflächigen Einsatz von Isofluran resultieren können.
Bei der vorgesehenen Methode sollen mobile Narkosegeräte zum Einsatz kommen. Die Ferkel atmen das Isofluran während rund zwei Minuten über eine Gesichtsmaske ein. Sobald sie betäubt sind, können sie kastriert werden. Isofluran ist bei fachgerechtem Einsatz ein verlässliches und sicheres Narkotikum, so Swissmedic. Es stellt aber bei der Anwendung besondere Anforderungen an die Überwachung der Tiere, die Geräte und die Sachkenntnis der anwendenden Person. Isofluran ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und darf nur gegen ärztliches Rezept oder durch den Tierarzt abgegeben werden. Isofluran verfügt über eine geringe schmerzausschaltende Wirkung und dies kurzzeitig während der Dauer der Anästhesie. Aus diesem Grunde wird von Fachkreisen der Einsatz von Isofluran nur gemeinsam mit einem injizierbaren Schmerzmittel empfohlen.

Klimaschädlich

Isofluran ist sehr leicht flüchtig. Die Räume, in denen Isofluran eingesetzt wird, müssen darum gut belüftet sein und sollten mit einem aktiven Abzug ausgerüstet sein. Bei der Befüllung des Narkosegerätes und dem Umfüllen von Isofluran muss darauf geachtet werden, dass kein entwichenes Narkosegas eingeatmet werden kann. Beim Transport von Isofluran in mobilen Narkosegeräten in Personenwagen können außerdem weitere Risiken entstehen, so Swissmedic.

Isofluran kann zudem laut der Stellungnahme von Swissmedic einen schädigenden Einfluss auf das Klima haben. Es ist für die Zerstörung der Ozonschicht mit verantwortlich und außerdem ist es als Treibhausgas rund 500 mal stärker klimawirksam als CO2. Würden alle rund 1.3 Millionen männlichen Ferkel in der Schweiz unter Isofluran-Narkose kastriert, würden jährlich rund 1.95 Tonnen Isofluran freigesetzt. Dies entspricht derselben Auswirkung auf das Klima wie eine jährliche Freisetzung von knapp 1.000 Tonnen CO2.
Darum ist bei den in der Schweiz zugelassenen Präparaten festgelegt, dass Isofluran nicht direkt in die Umgebungsluft gelangen darf, sondern die Isofluran-haltige Abluft über Aktivkohle gefiltert werden soll (2).

Legt man die Berechnungen von Swissmedic zu Grunde, so würde die Verwendung von Isofluran bei durchschnittlich 23 Millionen männlicher Ferkel in Deutschland ein Verbrauch von circa 35 Tonnen Isofluran resultieren. Dies entspräche 17.500 Tonnen CO2

Stress trotz Narkose

Wissenschaftler vom Institut für Tierzucht, Universität Bern haben die Halothan- und CO2-Narkose für ultrakurze Eingriffe zu erprobt und miteinander verglichen (1). Die Tiere wurden in ein Trichternarkosesystem gehalten und erhielten entweder 5% Halothan in Sauerstoff während 60 Sekunden oder 80% Kohlendioxid mit 20% Sauerstoff während 30 Sekunden verabfolgt. Kontrollgruppen wurden entweder nicht kastriert oder erhielten Raumluft. Zur Objektivierung des Stresses wurden Blutproben entnommen und die Plasmakonzentrationen der Hormone Cortisol, ACTH und b-Endorphin gemessen. CO2-Gas führte zu starken Abwehrbewegungen und Lautäusserungen, während sich die Einschlafphase unter Halothan mehrheitlich ruhig präsentierte. CO2 induzierte eine völlig reflexlose Narkose, während die Tiere unter Halothanwirkung zum Teil noch sehr leichte Abwehrbewegungen und Lautäusserungen zeigten. Die Aufwachphase war in allen Fällen schnell und ruhig. Ohne Narkose kastrierte Ferkel reagierten mit hochgradiger Abwehr und starken Lautäusserungen auf den Eingriff. Die Auswertung der Hormone zeigte, dass der Kastrationsstress durch die Inhalationsnarkose weder mit CO2 noch mit Halothan vermindert werden kann (1).

Literatur

(1) Kohler, I., Moens, Y., Busato, A., Blum, J. und Schatzmann, U. (1998)
Inhalation Anaesthesia for the Castration of Piglets: CO2 Compared to Halothane.
J.Vet.Med.A 45: 625-633.

(2) Swissmedic: Risiken und Konsequenzen eines grossflächigen Isofluran-Einsatzes bei der Ferkel-Kastration, Stellungnahme vom 27.11.2008.

(3) M. Alef und G. Oechtering: Praxis der Inhalationsanästhesie.
Enke-Verlag 2003. ISBN 3-8304-1015-8