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Wie Landwirtschaftsministerin Aigner die Wissenschaften drangsaliert

Von Thomas Deichmann – Wissenschaftler bestreiten erneut die GrĂŒnde fĂŒr das deutsche Anbauverbot fĂŒr den gentechnisch verĂ€nderten Mais Mon810. Offenbar wurde der Erlass entgegen der Empfehlungen des zustĂ€ndigen Bundesamtes durchgesetzt.

Nach eingehender PrĂŒfung des Verbotsbescheids und Bewertungen der wissenschaftlichen Literatur sind nun auch drei französische Wissenschaftler – AgnĂšs Ricroch (AgroParisTech), Jean BergĂ© (INRA) und Marcel Kuntz (CNRS) – zu dem Ergebnis gelangt, dass keine wissenschaftliche Rechtfertigung fĂŒr das vom Bundesministerium fĂŒr ErnĂ€hrung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) verhĂ€ngte Anbauverbot fĂŒr den gentechnisch verĂ€nderten Mais Mon810 vorliegt – die Sorte verfĂŒgt ĂŒber eine gentechnisch erzeugte Resistenz gegen FraßschĂ€dlinge. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung sind im Juni unter dem Titel „Is the German suspension of MON810 maize cultivation scientifically justified?“ in der Fachzeitschrift „Transgenic Research“ publiziert worden. Der Text ist auch online verfĂŒgbar.

Durch diese Arbeit erhĂ€rtet sich der Verdacht, dass das von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) am 14. April 2009 verhĂ€ngte Anbauverbot ein politisch motiviertes Manöver war und die von ihr genannten „wissenschaftlichen“ BegrĂŒndungen nur vorgeschoben waren. Die neue französische Studie liefert weitere Hinweise darauf, dass das Mon810-Verbot entgegen der wissenschaftsbasierten Fachbeurteilungen und Empfehlungen des dem BMELV unterstehenden Bundesamtes fĂŒr Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) durchgesetzt wurde. Verdachtsmomente in diese Richtung gab es unmittelbar bei Bekanntwerden des Erlasses, weil die vollstreckenden BVL-Mitarbeiter darin ausdrĂŒcklich (und in dieser Form ungewöhnlich) betonten, dass sie sich auf GrĂŒnde gemĂ€ĂŸ der „Vorgabe des Fachaufsicht fĂŒhrenden Bundesministeriums fĂŒr ErnĂ€hrung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ stĂŒtzten.

Im von Monsanto angestrengten Gerichtsverfahren wurden weitere Dokumente prĂ€sentiert, die diese Interpretation bestĂ€tigen. So liegt ein elfseitiger schriftlicher Aktenvermerk eines BVL-Referatsleiters vom 16. April 2009 vor. In diesem Vermerk wird, unter ausfĂŒhrlicher Bezugnahme auf die vom BMELV angefĂŒhrten Studien zur Rechtfertigung des Anbauverbots, die These eines neu entdeckten Risikos beim Mon810-Anbau zurĂŒckgewiesen.

Das BMELV war in der VerbotsbegrĂŒndung in weiten Teilen der sogenannten „BÖLW-Studie“ mit dem Titel „LĂ€sst sich der Anbau von Gen-Mais Mon810 in Deutschland verbieten?“ gefolgt – einem Positionspapier, das am 2. April 2009 vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) und dem Kampagenverein Campact e.V. herausgegeben wurde. Im Gerichtsverfahren ist offenkundig geworden, dass das BVL auch diese Studie vor der VerhĂ€ngung des Anbauverbots bewertete. In einem Schreiben an das BMELV vom 9. April 2009 heißt es zusammenfassend, dass „kein berechtigter Grund zu der Annahme bestehe, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr fĂŒr die Umwelt oder die menschliche oder tierische Gesundheit darstellt“. Im Fazit wird ausgefĂŒhrt:

„Nach Auffassung des BVL liefert die BÖLW-Studie keine neuen Argumente in der Diskussion um die Sicherheit von MON810. Die BÖLW-Studie bezieht sich ĂŒberwiegend auf bereits bekannte und bewertete wissenschaftliche Erkenntnisse zu potenziellen gesundheitsschĂ€dlichen uns umweltbezogenen Risiken von MON810-Mais. Die BÖLW-Studie zitiert lediglich fĂŒnf neuere Originalarbeiten, die zuvor nicht durch das BVL, die ZKBS oder die EFSA bewertet worden sind. Eine PrĂŒfung dieser Originalarbeiten ergab, dass kein Anlass zu einer verĂ€nderten Risikobewertung von MON810-Mais besteht. Weiterhin ist festzuhalten, dass die BÖLW-Studie die Ergebnisse zahlreicher ForschungsaktivitĂ€ten wie bspw. der BMBF-Sicherheitsforschung oder dem EU-Projekt ECOGEN ignoriert. Damit stellt die BÖLW-Studie den Stand der Wissenschaft lĂŒckenhaft und einseitig dar.“

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) LĂŒneburg bewertete den Aktenvermerk des BVL-Referatsleiters und die BVL-Stellungnahme zur BÖLW-Studie als nicht ausschlaggebend fĂŒr die Urteilsfindung. Die Beschwerde von Monsanto ĂŒber das Anbauverbot wurde im Mai 2009 zurĂŒckgewiesen. Die Autoren der neuen französischen Studie gelangten nun zu einem Ă€hnlichen Urteil wie die BVL-Wissenschaftler. In einer Stellungnahme erklĂ€rten sie gegenĂŒber der Novo-Redaktion:

„Wir haben die im April 2009 von der Bundesregierung vorgebrachten Argumente geprĂŒft 
 Ferner haben wir uns kritisch mit mutmaßlichen ‘neuen Erkenntnissen’ zum potenziellen Umwelteinfluss dieser VarietĂ€t als auch mit Ă€lteren Daten ĂŒber Lepidopteren [Schmetterlinge], Wasser- und Bodenorganismen auseinander gesetzt, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurden. Wir zeigen, dass das Anbauverbot auf eine nicht erschöpfende wissenschaftliche Referenzliste gegrĂŒndet ist.“

In ihrem Fachbeitrag erlĂ€utern sie, dass bei der VerbotsbegrĂŒndung des BMELV von der weithin anerkannten EinzelfallprĂŒfung Abstand genommen wurde. Stattdessen wĂŒrden in den vom BMELV angefĂŒhrten Studien sogar zwei verschiedene MaisvarietĂ€ten (Mon810 und Bt176) durcheinandergeworfen. Außerdem werde ohne weitere BegrĂŒndung eine „potenzielle Gefahr“ in den Rang eines auf wissenschaftlichen Bewertungen gegrĂŒndeten Risikos gestellt. Die drei Forscher aus Frankreich monieren, dass sich im deutschen Anbauverbot keine ausreichenden Hinweise auf mögliche Effekte auf Nicht-Zielorganismen unter Freilandbedingungen fĂ€nden. Der FraßschĂ€dling MaiszĂŒnsler werde beim Anbau des Bt-Maises zwar wie gewollt erfolgreich im Zaum gehalten. Der Vergleich dieser Biotechnologie mit dem Einsatz herkömmlicher Pflanzenschutzmittel zeige jedoch, dass die Artenvielfalt beim Einsatz der Gentechnik geschont werde:

„Unsere Studie zeigt, dass das vorhandene Metawissen ĂŒber Mais, der ein insektenwirksames Toxin Cry1Ab exprimiert (MON810 und andere Sorten), von der Bundesregierung, welche vielmehr bestimmte einzelne, mutmaßliche Studien zur StĂ€rkung ihrer Ansicht gewĂ€hlt hat, nicht beachtet wurde.“

Die Inkonsistenz des Anbauverbotes zeigt sich in den Augen der französischen Wissenschaftler auch daran, dass das BVL Mitautor des sogenannten „BEETLE-Berichts“ von 2007 war. FĂŒr dieses umfangreiche Dokument wurden die Erkenntnisse zur Umweltsicherheit gentechnisch verĂ€nderter Pflanzen zusammengetragen. Laut Ricroch, BergĂ© und Kuntz widersprechen die dort prĂ€sentierten Ergebnisse den vermeintlichen Rechtfertigungen fĂŒr das Mon810-Anbauverbot in Deutschland.

Von Thomas Deichmann ist kĂŒrzlich als Buch erschienen: “Warum Angst vor GrĂŒner Gentechnik. Wie Fortschritt in den Biowissenschaften verhindert wird”.

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