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Über die Mär von der Mär über Glutamat +++ Ein Kommentar von Prof. Dr. Micheal Hermanussen, Aschauhof

(mh) – Leute, fresst Scheiße, 5 Millionen Fliegen können nicht irren, hieß es in einem alten Kinderwitz. Können sich 300 Millionen Menschen wirklich irren? schreibt Lajos Schöne auf welt online und befindet sich damit in bester Gesellschaft, denn – und das ist durchaus korrekt – Menschen in Thailand, Vietnam, Japan und China … würzen und genießen ihr köstliches Essen täglich mit glutamathaltigen Soßen.

Aber es ist einfach erschütternd und es macht sprachlos zu sehen, mit welch fantastischer Hartnäckigkeit die Geschmacksverstärkung unserer Lebensmittelchemie beworben wird. Alte Weisheiten wie Glutamat steckt in den gesündesten Lebensmitteln und besonders reich an Glutamat ist übrigens das gesündeste Lebensmittel der Welt und die erste Mahlzeit des Menschen, nämlich die Muttermilch werden mit illustren Namen vermengt eine Konsensuskonferenz … unter Federführung des Heidelberger Molekularbiologen und Nobelpreisträger Professor Dr. Konrad Beyreuther …. Dazu kommen bruchstückhaft-wissenschaftliche Informationen: interessanterweise benutzen die Nervenfasern, die Riech- und Geschmackempfindungen zum so genannten Mandelkern („Amygdala“) im Gehirn transportieren, den Botenstoff Glutamat als Botenstoff – Glutamat ist der wichtigste erregende Neurotransmitter unseres Zentralnervensystems und nicht nur im Mandelkern aktiv – und einige herausgepickte korrekte Informationen wie in 100 Gramm Parmesankäse sind 1206 Milligramm freies Glutamat enthalten.
Muss man solchen Argumenten Glauben schenken?

Die genannte Expertengruppe publizierte in dem von Herrn Schöne zitierten Konsenspapier von 2007 eine Reihe von peinlichen Tippfehlern zur Dosierung. Dort heißt es a maximum (GLU) intake of 16.000 (sixteen dot triple zero) mg/kg body weight is regarded safe. Übersetzt: eine maximale Aufnahme von 16 Gramm Glutamat pro Kilogramm Körpergewicht ist als sicher anzusehen. Mit anderen Worten, mit meinen 82 kg Körpergewicht darf ich gefahrlos 1,3 Kilo Glutamat pro Tag verzehren. Das wundert, zumal die Autoren im selben Papier etwas weiter unten schreiben, dass the oral dose that is lethal to 50% of subjects (LD50) in rats and mice is 15000-18000 mg/kg bw, respectively. Übersetzt: dass die orale (mit der Nahrung aufgenommene), für die Hälfte der Ratten und Mäuse tödliche Dosis 15 bis 18 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht beträgt. Das entspricht der von Experten empfohlenen Tagesdosis (1).

Auch „das gesündeste Lebensmittel der Welt“ ist nicht für jedermann gleich gesund. Ich denke nicht, dass Herr Schöne mit einer Diät glücklich wäre, die es ihm – wie einem gesunden Neugeborenen – ermöglicht sein Ausgangsgewicht in 6 Monaten zu verdoppeln.

Bilder sind oft eindringlicher als viele Worte. Schauen Sie sich die Aminosäurespektren einer „nach Großmutters Art“ zubereiteten (oberes Bild) und einer von Knorr produzierten (unteres Bild) Hühnersuppe an. Jede Zacke entspricht dem Gehalt an einer Aminosäure. Sie sehen die Unterschiede, ein buntes natürliches Gemisch von Aminosäure in Großmutters Suppe, und eine von Geschmacksverstärker dominierte Knorr Supp. Glutamat ist der prominente Ausschlag (GLU) in der Knorr-Suppe. Und Sie sehen, es geht um mehr: im Fertiggericht ist nicht einmal Hühnerfleisch enthalten (Fleisch erkennt man an der kleinen CARN/ANS Zacke auf der rechten Seite des Spektrums– sie fehlt bei Knorr). Zwei Prozent Hühnerfett rechtfertigen den Namen Hühner-Suppe (2).


Aminosäurespektrum selbst gemachte Hühnersuppe


Aminosäurespektrum Fertigsuppe

Ulrike Gonder und ich haben vor gut 2 Jahren versucht, ein wenig Licht in das Dickicht um die Geschmacksverstärkung zu werfen und ein Büchlein für Jedermann geschrieben, der sich für dieses Thema interessiert und wissen möchte, was dazu wissenschaftlich gesagt wurde (3). Es gibt sehr viel Literatur, und das Thema ist nicht so einfach, wie Herr Schöne es uns glauben machen will. Das Büchlein würde ich auch Herrn Schöne gern ans Herz legen, sofern ihn die Thematik tatsächlich beschäftigt.

1. Hermanussen M. No consensus on glutamate. Eur J Clin Nutr 2008; 62:1252-3.

2. Hermanussen M, Gonder U, Stegemann D, Wesolowski M, Wartensleben H, Hoffmann GF. How much chicken is food ? Questioning the definition of food by analyzing amino acid composition of modern convenience products. Anthropologischer Anzeiger 2011 (fast track)Titelbild Glutamatbuch

3. Hermanussen M, Gonder U. Der Gefräßigmacher, Hirzel-Verlag, 3. Auflage 2011

Glutamatbuch

3 Comments, Comment or Ping

  1. Jochen

    Herzlichen Dank, für Ihren Artikel, als Ausgleich, zu den zahlreichen Kopien und Diskussionen heute und gestern zum Thema Glutamat im Netz, man muss nur Google News Glutamat eingeben.
    Die Lobbyisten fallen auch in den Kommentaren regelmäßig auf.

    (Ich kein Verschwörungstheoretiker oder Spinner)

    Sie nutzen Google Alert um sofort bei Funden von Artikeln auf Webseiten und Blogs mit den Begriffen Glutamat, Hefeextrakt etc. informiert zu werden.
    Dann starten Sie als Vertreter der Nahrungsmittelhersteller oder der Glutamathersteller oder der Imageagentur:
    sie nehmen sich ihren Argumentationsratgeber zur Hand und greifen ersteinmal all jene an, die durch Glumat bzw. Würze oder Hefeextrakt in Speisen Spannungskopfschmerzen bekommen.
    Das sind alles Bioökos, Hypochonder, Psychosomatiker ohne Ahnung von Wissenschaft und Forschung.
    Normal gehört zur Glutamatlobby dann noch, dass man darstellt, dass es doch ganz natürliches Unami sei. Ganz natürlich in Käse und Tomaten vorkommt, nichts bewiesen sei und so weiter und so fort.
    Wer finanziert eigentlich die Studien und Institute?! Na die Hersteller, die Milliardenumsätze mit den Produkten machen.
    Kein normaler Bürger, der nicht zu diesen Unternehmen gehört, würde so militant Glutamat verteidigen, wie es ständig in Kommentarsträngen zum Thema Glutamat geht.
    Die Lobbyisten zeichnen sich zum einen durch Aggressivität und direkte Angriffe aus, die die anderen als Spinner darstellen.
    Zum anderen zeigen sie durch die oft fachliche Argumentation, dass es sich um Insider handelt, und nicht Oma Erna die Hühnersuppenköchin.
    Es ist einfach total offensichtlich. Immer das gleiche.
    Bei den Glutamatverteidigern, kann es sich natürlich auch um einfache angestellte, der Tütenuppenkonzerne handeln, die einfach ungeschickt ihre Produkte und Arbeitsplätze verteidigen wollen.

  2. Mareike

    Herzlichen Dank für die tolle Erläuterung.

    Leider scheinen andere Webseiten das Ganze nicht derart gründlich zu recherchieren – siehe bspw. http://www.yazio.de/aktuelles/glutamat-chinarestaurant-syndrom-ein-mythos-30665.html sowie die dazugehörigen Kommentare!

    Mareike

  3. Michael Huber

    Sehr geehrter Herr Hermanussen,

    im Englischen markiert der Punkt die Nachkommastelle.
    16.000 mg/kg bedeutet also 16mg/kg, NICHT 16g/kg.

Reply to “Ãœber die Mär von der Mär über Glutamat +++ Ein Kommentar von Prof. Dr. Micheal Hermanussen, Aschauhof”

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