Vorbild Schweiz: Auch Österreichs Humanmediziner wollen Dispensierrecht; Forderungen auch in Deutschland

tabletten_rezeptWien (aho) – Der aktuell vorgetragene Wunsch Österreichischer Humanmediziner, Arzneimittel während des Besuchs in der Praxis direkt an Patienten abzugeben, hat zu heftigen Reaktionen von Seiten der Apotheker geführt. Dr. Martin Hochstöger, Präsident der Apothekerkammer Tirol, zeigte sich anlässlich des Vorstoßes einiger Ärztekammerfunktionäre besorgt um das an sich gute Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker. Nach den Plänen der Ärztekammer soll jeder niedergelassene Humanmediziner das Recht bekommen, Arzneimittel vorrätig zu halten und diese direkt an seine Patienten abgeben zu können. Bisher haben dieses „Dispensierrecht“ österreichische Humanmediziner nur in ländlichen Regionen über ärztliche Hausapotheken.

In der Schweiz etabliert

Auch der Schweiz haben in 17 von 26 Kantonen Humanmediziner ein Dispensierrecht. Schweizer Mediziner wie der Präsident der ÄrzteGesellschaft des Kantons Zürich Dr. Urs Stoffel sehen laut Medienberichten Vorteile: bessere Therapietreue der Patienten, Kostenvorteile durch die Verschreibung billigerer Arzneimittel, Bereitstellung von Notfallmedikamenten, bessere Kontrolle der Dauermedikation und Sicherstellung der Versorgung.

Dispensierrecht hat Vorteile für die Patienten

“Es handelt sich vor allem um die Service-Funktion”, wird Dr. Christoph Reiser, NÖ-Kammerpräsident, in Österreichs Medien zitiert. Das Honorar der Ärzte sollte nicht auf dem Umsatz beruhen, sondern Lagerhaltung, Logistik, Beratung und Service entlohnen. Dr. Reiser sprach laut einem Bericht der in Wien erscheinenden Zeitung „Der Standard“ von einem Einsparungspotenzial: “Damit könnte man die Apothekenspanne ersparen und das System verbilligen.” Umfragen hätten gezeigt, dass sich selbst in einer Großstadt wie Wien rund 50 Prozent der Bevölkerung für die Abgabe von Arzneimitteln beim Arzt aussprechen. Reisner hatte sich kürzlich für ein allgemeines Bezugsrecht der Patientinnen und Patienten für Medikamente am Ort ihrer Wahl als Idealform ausgesprochen. Jeder sollte entscheiden können, ob er seine Medikamente in einer Apotheke oder bei einem Arzt beziehen will.

Forderung nicht neu

Dr. Jörg Pruckner, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin der Österreichischen Ärztekammer hatte in der Zeitschrift „Der Hausarzt“ (20/2011) exemplarisch den Hausbesuch bei einer abgelegen auf dem Land lebenden Patientin beschrieben: „Soll ich die alleinlebende Patientin, es ist inzwischen 0:30 Uhr, alleine im Haus zurücklassen ohne sicher zu stellen, dass sie ihre Medikamente rasch erhält? Die nächste Apotheke, die Nachtdienst hat, ist ca. 50 km entfernt, es ist also eine 100 km lange Autofahrt zur Einlösung dieses Rezeptes notwendig. Es findet sich natürlich niemand, der zu dieser Nachtzeit bereit ist, diese Besorgung zu erledigen. Für mich als Arzt, bleibt die ethische Frage: Ist meine ärztliche Tätigkeit nach Festlegung einer genauen Diagnose mit der Verabreichung eines Stück Papiers mit Stempel, Unterschrift und einer entsprechenden Verordnung wirklich der medizinischen Weisheit letzter Schluss? Oder sollte hier nicht eine Medikation von mir akut abgegeben werden können, wie das bei selbstdispensierenden Hausärzten möglich ist?“

Dr. Josef Huber, Präsident der Ärztekammer für Kärnten, forderte 2012 in der Zeitschrift „Ärzte Woche“ (44/2012): „Dringend nötig wäre daher, ein Dispensierrecht für alle Ärzte zu etablieren – und zwar sowohl für Wahl – als auch für Kassenärzte. Es sollte in jedem Fall gelten, wenn man den Patienten am Land weite Wege zur nächsten diensthabenden Apotheke ersparen kann. Ansonsten sollte der Patient entscheiden, wo er Arzneimittel erhält. Es ist höchst an der Zeit, dass auch bei der Medikamentenversorgung alte Strukturen aufbrechen und der mündige Bürger die freie Wahl erhält.“

Forderungen längst auch in Deutschland

Bereits im Beschlussprotokoll des 114. Deutschen Ärztetags 2011 in Kiel fordert der Deutsche Ärztetag das Dispensierrecht für Ärzte. Begründung: „Die zielgerichtete Pharmakotherapie ist ein wesentlicher Bestandteil ärztlichen Handelns. Rabattvertragswirrwarr und kreative Preisgestaltung der Industrie haben eine Situation geschaffen, die dem Arzt eine sinnvolle Kontrolle über die tatsächliche Medikation erschwert, sie bisweilen unmöglich werden lässt. Die Compliance gut eingestellter Schwerkranker wird bisweilen wegen Centbeträgen aufs Spiel gesetzt.Hier kann das Dispensierrecht helfen, die Therapiefreiheit unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeitsaspekte zu erhalten. Außerdem kann es helfen, den Therapieerfolg zu sichern, indem die Therapietreue erhöht wird.“

Verzögerter Therapiebeginn

Ebenso wie der Deutsche Hausärzteverband fordern auch die in der „Freien Allianz der Länder-KVen“ (FALK) zusammengeschlossenen Kassenärztlichen Vereinigungen aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ein Dispensierrecht für Ärzte. Damit könnten „bestehende Probleme bei der Akutversorgung der Patienten gerade in Flächenländern“ gelöst werden. Denn gerade bei der Akutversorgung im Bereitschafts- beziehungsweise Notdienst führe das Dispensierverbot immer wieder zu Problemen: „Denn für Patienten, die zu sprechstundenfreien Zeiten in den Bereitschaftsdienstzentralen, Praxen oder gar vom Hausbesuchsdienst versorgt werden, beginnt danach die Suche nach der nächsten geöffneten Apotheke. Gerade nachts und in ländlichen Gebieten ist dies kompliziert und führt nicht selten dazu, dass sich die notwendige Behandlung mit Medikamenten verzögert.“

Deutsche Tierärzte führen traditionell eine Tierärztliche Hausapotheke, in der sie Tierarzneimittel für die von ihnen betreuten Tiere vorrätig halten und abgeben. So wird eine zeitnahe und flächendeckende Versorgung garantiert.