BSE: Wurde der Rinderwahnsinn durch infiziertes Fleischmehl verursacht?

Udo Pollmer, Susanne Warmuth

Nach der in Deutschland quasi offiziellen Theorie sind an der Seuche skrupellose britische Produktionsmethoden schuld. Man habe Schafe, die an Scrapie erkrankt waren, zu Fleischmehl verarbeitet und dieses dann an Pflanzenfresser wie Rinder verfüttert. Wenn das nicht pervers ist! Aber die Strafe folgte auf den Fuß. Zigtausende britischer Rinder verfielen dem Wahnsinn und mußten geschlachtet werden. Für die deutsche Landwirtschaft war BSE ein Glücksfall. Endlich konnte man von den hausgemachten endlosen Fleischskandalen ablenken und sich dabei auch noch eines lästigen Konkurrenten jenseits des Ärmelkanals entledigen. Wer weiß schon, daß Hochleistungsrinder auf der ganzen Welt - auch in Deutschland - aus den Kadavern krepierter Tiere hergestelltes Fleischmehl in ihren Trögen hatten. Speziell das britische Fleischmehl wurde nach dem Fütterungsverbot in Großbritannien jahrelang auf der ganzen Welt - auch in Deutschland - als Futtermittel gehandelt.

Trotzdem ist mehr als zweifelhaft, ob BSE eine Folge der Verfütterung von Fleischmehl scrapiekranker Schafe ist. In Großbritannien deckt sich das Auftreten von BSE gerade nicht mit Einsatz von Tiermehl. So erkrankten beispielsweise Rinder, die niemals Fleischmehl erhalten hatten und auch nicht aus Herden mit erkrankten Tieren stammten. Zudem ist es bislang nicht gelungen, die Krankheit experimentell - durch Verfütterung von infizierten Schafshirnen an Kälber - zu übertragen. Selbst wenn man Kälbern scrapieinfiziertes Hirn direkt in den Schädel spritzt, erkranken die Tiere nicht an BSE, sondern entwickeln Symptome einer anderen Erkrankung, des sogenannten Downer-Syndroms.

Ungeklärt ist weiterhin die Frage, wie sich spongiforme Encephalopathien in der Natur, das heißt bei Wildtieren, verbreiteten. Für Raubtiere mag der Verzehr von Innereien und Hirn eine hinreichende Erklärung darstellen, aber nicht für Hirsche oder Schafe, die nur Pflanzen fressen und trotzdem erkranken.

In Island konnte schon vor Jahrzehnten ein Infektionspfad dingfest gemacht werden. Weil dort die Schafzucht erheblich unter Scrapie litt, versuchte man in den fünfziger Jahren, die Krankheit konsequent auszurotten: Alle Schafe auf der Insel, etwa eine viertel Million, wurden ausnahmslos getötet. Anschließend baute man die Schafzucht mit gesunden Tieren wieder auf. Zum Entsetzen der Veterinäre trat die Krankheit jedoch bald danach genauso häufig auf wie zuvor. Dies war der Anlaß, nach einem natürlichen Reservoir der Erreger zu suchen. Dabei entdeckte man, daß die Krankheit von blutsaugenden Milben übertragen wird, die normalerweise auf Mäusen leben. Bei uns in Mitteleuropa kämen als Überträger des Erregers Flöhe und Zecken in Frage. Ein solcher Übertragungsweg bietet zudem eine plausible Erklärung für die in der Natur sporadisch auftretenden Fälle.

Eine andere Theorie geht von einem Zusammenhang zwischen BSE und einer Pestizidvergiftung aus. Das fragliche Pestizid wurde in Großbritannien zur Bekämpfung der Dasselfliege eingesetzt, deren Maden sich durch die Haut in das Fleisch der Tiere hineinbohren. Praktisch überall dort, wo auf staatliche Anordnung Rinder mit dem Pestizid behandelt wurden, sollen danach gehäuft BSE-Erkrankungen aufgetreten sein. Für diese Theorie spricht auch der Umstand, daß die betroffenen Zoo- oder Pelztiere ebenfalls regelmäßig mit Antiparasitika behandelt werden. Denkbar wäre, daß die Pestizide den Krankheitsprozeß im Gehirn erst in Gang setzen oder daß sie den potentiellen BSE-Erregern den Zutritt ins Nervensystem erleichtern.

Alternativ diskutieren britische Experten als Ursache für den seuchenartigen Ausbruch Hypophysen-Präparate, die britische Tierärzte den Rindern spritzten. Mit den aus der Hirnanhangdrüse gewonnenen Wachstumshormonen läßt sich bei Vieh, das zur Zucht bestimmt ist, eine bessere Fleisch- und Milchleistung vortäuschen. Wenn unter den Hypophysen solche von infizierten Tieren waren, könnte sich der Erreger über die damit behandelten Tiere und deren Nachkommen verbreiten. Aus Frankreich sind inzwischen Fälle von verunreinigten Hypophysenpräparaten bekannt, die man zwergwüchsigen Kindern verabreicht hatte: Dutzende erkrankten danach an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, der menschlichen Variante von BSE.

Quellen:
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Quelle: Lexikon der populären Ernährungsirrtümer.
Udo Pollmer, Susanne Warmuth
- 361 Seiten (2000) Eichborn Vlg., Ffm.;
ISBN: 3821816155


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