EU Verordnung 2377 / 90:

Blinde Regulierungswut gefährdet Arzneimittelversorgung!

Immer mehr Tierarzneimittel werden vom Markt genommen. Dr. M. Stein, Gyhum, warnt vor weitreichenden Folgen für die Tierproduktion.

Deutsche Arzneimittelhersteller mußten seit dem 01.01.97 ca. 300 Arzneimittel für die Behandlung von lebensmittelliefernden Tieren vom Markt nehmen. Zur Verbesserung und europaweiten Vereinheitlichung des Verbrauerschutzes wurde im Jahre 1990 die EU - Verordnung 2377 / 90 ratifiziert. Sie fordert, daß für alle Arzneistoffe, wenn sie nach 1992 bei lebensmittelliefernden Tieren eingesetzt werden sollen, ein sogenanntes MRL - Verfahren zur Festlegung eines Rückstandshöchstwertes einzuleiten ist. Diese Rückstandshöchstwerte werden so niedrig angesetzt, daß sie, auch wenn sie im Extremfall über Monate von einem Menschen mit der Nahrung aufgenommen werden, für ihn keine Gefahr darstellen.

Am Ende eines jeden MRL - Verfahrens sollen dann die Arzneistoffe in die Anhänge (Annexe) I und II der Verordnung eingeordnet werden. Wird kein MRL - Wert erarbeitet, so erlischt die Zulassung für lebensmittelliefernde Tiere. Die Annexe gliedern sich wie folgt:

Annex I: Pharmakologisch wirksame Stoffe ( Arzneistoffe ), für die ein endgültiger MRL - Wert (Rückstandshöchstwert) festgelegt wurde.

Annex II: Pharmakologisch wirksame Stoffe, die allgemein als sicher anerkannt sind. Ein MRL - Wert muß nicht festgelegt werden.

Annex III: Pharmakologisch wirksame Stoffe, für die ein vorläufiger MRL - Wert festgelegt wurde. Es wird eine Frist zur Behebung von Mängeln in den MRL - Unterlagen eingeräumt, so daß dann in die Annexe I und II eingeordnet werden kann.

Annex IV: Pharmakologisch wirksame Stoffe, für die ein MRL - Wert nicht festgelegt werden kann. Es besteht Anwendungsverbot bei lebensmittelliefernden Tieren. Hier sind zur Zeit Dapson, die Nitrofurane wie z.B. Furazolidon und Nitrofurantoin, Chloroform, Cholchizin, Dimetridazol, Ronidazol, Chloramphenicol und Chlorpromazin gelistet.

In der Kostenfalle

Viele Pharmaunternehmen haben es aber unterlassen, für eine Vielzahl von Arzneistoffen ein Verfahren zur Festlegung eines Rückstandshöchstwertes (MRL - Wert) zu beantragen, da die horrenden Kosten in keinem realistischen Verhältnis zu den Umsatzerwartungen und der Erlössituation in der veterinärpharmazeutischen Industrie stehen. Allein die Antragsgebühren betragen mittlerweile je Arzneistoff DM 80.000,- und so manche Firma verwendet mehr als 100 unterschiedliche Arzneistoffe ihren Präparaten. Die Gebühren sind unwiederbringlich verloren, auch wenn später das Verfahren aus welchem Grund auch immer abgebrochen wird. Der in den letzten Jahren stattgefundene Preisverfall durch einen gnadenlosen Wettbewerb bei Tierarzneimitteln bescherte der Landwirtschaft teilweise dramatisch sinkende Arzneimittelpreise. Dieser Preisverfall droht jetzt aber zum Bumerang zu werden, denn vielen Herstellern war es nicht mehr möglich, die notwendigen Rücklagen für Forschung und Entwicklung zu bilden. Offensichtlich wurde diese betriebswirtschaftliche „Binsenweisheit" auch von der EU und ihrer Zulassungsbehörde „EMEA" in London nicht beachtet.

Herbe Verluste

Seit Anfang März 97 ruht z.B. die Zulassung von Metronidazol. Das endgültige „Aus" für dieses Arzneimittel dürfte vorprogrammiert sein. Das BgVV und die EU - Zulassungsbehörde „EMEA" in London rücken nicht von ihre Entscheidung ab, obwohl die einzige (!) mexikanische Studie, die angeblich zeigt, daß Metronidazol möglicherweise krebserregend ist, durch eine Untersuchung des Frauenhofer - Institutes in Hannover widerlegt wurde. Und so verlieren die deutschen Schweineproduktion ein wichtiges Arzneimittel zur Behandlung der Schweinedysenterie. Bei der Pute ist nunmehr kein einziges Arzneimittel zur Behandlung der Schwarzkopfkrankheit zugelassen. In Zukunft wird es immer häufiger darauf hinauslaufen, daß ganze Putenbestände aus Gründen des Tierschutzes euthanasiert werden müssen. Gleichzeitig wurden auch mehrere Futterzusatzstoffe zur Verhütung der Schwarzkopfkrankheit verboten. In der Schweinemast kündigt sich eine ähnliche Katastrophe an. Schon jetzt wird vermehrt von Therapieversagern beim Einsatz von Tiamutin bei der Behandlung von Dysenterie berichtet. Da nicht auf Metronidazol gewechselt werden kann und auch Lincomycin oder Tylosin oft nicht wirksam sind, sind Tierverluste von bis zu 50% zu beklagen. Da wohl kaum ein Landwirt tatenlos zusieht, wenn seine Tiere wegen des Fehlens wichtiger Arzneimittel sterben und der Betrieb in die Pleite schlittert, wird dem „Schwarzmarkt" Tür und Tor geöffnet.

Wenig Bedenken

In der Humanmedizin ist man weit weniger „zimperlich". Metronidazol und die chemisch eng verwandten Substanzen Nimorazol und Tinidazol werden hier bei Genitalinfektionen, Blinddarm - und Zahnfleischentzündungen, Magengeschwüren und schlecht heilenden Wunden in Form von Gels, Vaginalzäpfchen, Infusionslösungen und Tabletten verordnet. Allein in der Bundesrepublik werden jährlich 2 Millionen orale Tagesdosen Metronidazol ( Tabletten ) eingenommen, ohne daß bei den Patienten eine höhere Krebshäufigkeit festgestellt werden kann. Auch viele andere Arzneistoffe, die für lebensmittelliefernde Tiere seit vielen Jahren verboten sind, werden weiterhin in der Humanmedizin verordnet. Tabelle 1 zeigt eine Auflistung. Auch hier werden die Patienten im Vergleich zu den gelegentlich winzigen Rückständen in Lebensmitteln über Tage und Wochen sehr hohen therapeutischen Dosierungen ausgesetzt.

Tabelle 1: In der Veterinärmedizin verboten *, in der Humanmedizin noch eingesetzt!
Arzneistoff Anzahl der humanmedizinischen Präparate** / Formulierung
Furazolidon 1 / Scheidenzäpfchen
Chloramphenicol 8 / Augentropfen
  3 / Ohrentropfen
  4 / Salben, Hautinfektionen
  2 / Kapseln zum Einnehmen
  1 / Injektionspräparat
Metronidazol 12 / Tabletten u. Dragees
  6 / Scheidentabletten / Zäpfchen
  7 / Infusionslösungen
  1 / Gel, Zahnfleischentzündungen
Nitrofurantoin 11 / Kapseln u. Dragees
Dapson 2 / Tabletten
Chlorpromazin 1 / Injektionspräparat
  1 / Tabletten
  1 / Tropfen
Nitrofural 2 / Lösung, Hautinfektionen

* In Annex 4 der EU - Verordnung 2377 / 90 eingeordnet.

** Anzahl der Arzneimittel lt. Roter Liste ( Humanmedizinisches Arzneimittelverzeichnis )

Risiko

Um Kosten zu sparen, werden viele Firmen Rückstandshöchstwerte nur für eine oder wenige Zieltierarten erarbeiten. So ist zu befürchten, daß z.B. in Zukunft nur noch ganz wenige Arzneimittel mit einer Zulassung für Schafe, Kaninchen, Ziegen, Broiler, Legehennen, Enten, Gänse und Puten zu Verfügung stehen. Notgedrungen werden dann bei diesen Tierarten Arzneimittel eingesetzt, die nur für andere Tierarten (= Zieltierarten) zugelassen sind. Die fehlenden Fachinformationen machen die Behandlung und das dann notwendige Festlegen einer Wartezeit durch den Tierarzt unsicherer. Während z. B. das seit dem 01.01.98 vom Markt verschwundene Präparat Phenylbutazon, es wurde gegen Fieber und Entzündungen eingesetzt, für Rinder, Milchkühe, Pferde und Schweine zugelassen war, müssen bei den Nachfolgepräparaten „Metacam", „Meflosyl" und „Finadyne RP" erhebliche Beschränkungen hingenommen werden (Tabelle 2). Setzt ein Tierarzt ein Präparat bei einer Tierarzt ein, für die es nicht zugelassen ist, so ist ein solches Vorgehen unter bestimmten Voraussetzungen durch das Arzneimittelrecht gedeckt. Aber entsprechend § 12 a Abs. 2 der TÄHAV (Tierärztliche Hausapothekenverordnung) sind dann 28 Tage Wartezeit für das Fleisch einzuhalten. Zusätzlich muß der Tierarzt prüfen, ob eine längere Wartezeit notwendig ist. Dies gilt auch, wenn für die Zieltierart z.B. nur drei Tage festgelegt sind. Ein Zeitraum von 28 Tagen ist z.B. in der Broilermast eine halbe Ewigkeit. Erst kürzlich wurde den Tierärzten mitgeteilt, daß die Baytril - Geflügellösung nicht mehr bei Legehennen eingesetzt werden soll. Nunmehr sucht man in der Produktinformation vergeblich nach einer Wartezeit für Eier. Die Landwirte und Tierärzte werden so zwangsläufig in die Illegalität gedrängt. Die Risiken werden auf Landwirt und Tierarzt abgewälzt. Dies gilt auch, wenn z.B. ein tragendes Tier behandelt werden muß, das Arzneimittel aber keine Zulassung für tragende Rinder oder Sauen hat.

Tabelle 2: Neue Arzneimittel dürfen oft nur noch sehr beschränkt eingesetzt werden
Fiebersenkende und entzündungswidrige Präparate

Wartezeiten für Fleisch ( Fl ) und Milch ( Mi ) in Tagen

Verträglichkeit bei tragenden Tieren

alt = nicht mehr am Markt neu = Neuzulassung

Rind Fl

Kuh

Fl / Mi

Pferd
Fl / Mi

Schwein

Fl

Sau

Kuh /
Rind

Pferd

Phenylbutazon ( alt )

12

12 / 4

12 / 4

12

k. B.

k. B.

k. B.

Metacam ( neu )

15

- / -

- / -

-

?

n. e.

?

Meflosyl ( neu )

-

- / -

7 / -

-

?

?

n. e.

Finadyne RP ( neu )

10

- / -

10 / -

-

?

?

n. e.

Informationen lt. Produktinformation: k. B. = keine Beschränkung; n. e. = nicht einsetzen;

- = Wartezeit nicht festgelegt, da entweder für Tierart oder Nutzungsart nicht zugelassen;

? = Verträglichkeit unbekannt, da nicht für tragende Tiere zugelassen

Aus für deutsche Sonderregelung?

Zusätzliches Unheil droht von der EU - Kommission, die ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen der sogenannten „Abverkaufsregelung 2004" eingeleitet hat. Die Abverkaufsregelung gestattet es, Arzneimittel bis zum 31.12. 2004 zu verkaufen, ohne daß diese Produkte ein kostenträchtiges Nachzulassungsverfahren durchlaufen müssen. Danach erlischt die Zulassung. Es kommt zu einem weiteren Aderlaß beim Arzneimittelangebot. Wird nun diese bundesdeutsche Sonderregelung vorzeitig „gekippt", so werden die betroffenen Arzneimittel wieder dem Nachzulassungsverfahren unterworfen. Es ist abzusehen, daß hunderte von Produkte dann kurzfristig vom Markt verschwinden, da die Hersteller weder das Geld noch die „manpower" (Mitarbeiter) haben, um die zumeist umsatzschwachen Präparate durch das Nachzulassungsverfahren zu „boxen"!

Streichkonzert 2000

Selbst die Arzneistoffe, für die ein MRL - Verfahren eingeleitet wurde, sind noch nicht am rettenden Ufer! Obwohl z.B. für das Narkose - und Beruhigungsmittel für Rinder Xylazin ( Rompun ) ein Antrag gestellt wurde, „läutet auch schon für dieses wichtige Präparat das Totenglöckchen". Zwar wurde Xylazin und vielen anderen Stoffen eine Gnadenfrist bis zum 01.02.2000 eingeräumt, aber kaum jemand glaubt, daß irgend ein Arzneimittelhersteller die noch ausstehenden DM 2 Millionen an Forschungskosten zur Erarbeitung eines Rückstandshöchstwertes investiert. Zur Jahrtausendwende dürfte noch einmal ein wahres „Streichkonzert" über das bestehende Arzneimittelangebot hereinbrechen.

Humanmedizinischer Vorbehalt

Eine weitere Gefahr für die Arzneimittelversorgung bei landwirtschaftlichen Nutztieren kommt aus der Humanmedizin. Hier mehren sich hier Stimmen, daß bestimmte Antibiotikagruppen wie z.B. die Fluorchinolone ( Gyrasehemmer: Baytril, Dicural, Advocid ) oder auch Cephalosporine ( Excenel, Ubrocef, Peracef, Cobactan ) nur noch beim Menschen eingesetzt werden sollen ( sog. humanmedizinischer Vorbehalt ), um einem Entstehen resistenter Keime in der Landwirtschaft vorzubeugen. Fluorchinolon-resistente Campylobacter wurden in Lebensmitteln nachgewiesen und auch schon mit einem Versagen der Therapie von Campylobacter-Infektionen bei Menschen in Zusammenhang gebracht.

Von Haien und kleinen Fischen

Die kleinen deutschen Arzneimittelfirmen waren in den letzten Jahrzehnten Garanten für preiswerte Nachahmerpräparate ( Generica ). Die hohen Kosten für MRL - Dossiers in sogenannte Altsubstanzen zu investieren, ist für alle Firmen bei der derzeitigen Erlössituation aus betriebswirtschaftlicher Sicht völlig unrentabel. Da auch konkurrierende Firmen nach Veröffentlichung diese Daten verwenden können, ohne auch nur einen Pfennig bezahlt zu haben, will niemand allein „die Zeche zahlen". Es steht zu befürchten, daß viele kleinere deutsche Firmen schließen, aufgekauft werden oder sich auf das Geschäft mit Hunde - und Katzenpräparaten zurückziehen. Zudem können multinationale Firmen im Gegensatz zu kleinen Firmen diese MRL - und andere Forschungsdaten weltweit nutzen. Als nächste Hürde droht den Arzneimittelherstellern ein Verfahren zur ökotoxikologischen Bewertung der einzelnen Arzneistoffe. Dies dürfte in Abhängigkeit der Substanz und dem vorgesehenen Anwendungsgebiet pro Substanz etwa DM 250.000,- kosten. Kaum eine kleine deutsche Firma wird dies leisten können.

Preise steigen

In Zukunft werden neue Arzneimittel in erster Linie von „global playern" ( weltweit tätige Firmen ) entwickelt. Der 20 - jährige Patentschutz und die Möglichkeit, eine bezugnehmende Zulassung durch Genericahersteller für 10 Jahre zu verweigern, gibt den multinationalen Konzernen genug Zeit, um die Entwicklungskosten in mehrstelliger Millionenhöhe und hohe Gewinne hereinzuholen. So sind neue Arzneimittel - auch mangels Konkurrenz - deutlich teuerer. Ein Beispiel: Die Injektionsbehandlung eines 100 kg Schweines mit dem entzündungswidrigen „Phenylbutazon" kostete dem Landwirt ca. DM 1,05. Wurde gar ein hochwertiges Kombipräparat wie „Parkenova" injiziert, steigerten sich die Kosten auf „horrende" DM 2,50 incl. MWSt. Wird aber jetzt nach dem Verlust der vorgenannten Präparate das neue „Metacam" von Boehringer eingesetzt, stehen plötzlich fast DM 7,10 incl. MwSt. auf der Tierarztrechnung. Beim neuen „Meflosyl" von Fort Dodge sind es DM 8,82, bei „Finadyne RP" von Essex DM 8,98 Hierzu addiert sich dann noch das Honorar für den Tierarzt für Fahrtkosten, Untersuchung und Injektion.

Elefantenhochzeiten

Folgerichtig konnte man in den letzten Jahren eine Reihe von internationalen Firmenübernahmen und Fusionen, sogenannte „Elefantenhochzeiten" beobachten. Da schluckte Pfizer die Firma SmithKline Beecham, wobei die letztgenannte Firma erst kurz davor aus Beecham und Smith Kline entstanden war. Die Firma Solvay wurde von Fort Dodge aufgekauft. Der letztgenannte Arzneimittelhersteller wurde dann wiederum kürzlich Teil des US - Mega - Konzerns „American Home Products". Hoechst und Rousell Uclaf verbanden sich zu Hoechst Rousell Vet, MSD und Rhone Merieux zu Merial, Ciba und Sandoz zu Novartis, Upjohn und Parke Davis zu Pharmacia & Upjohn. Letztgenannter Konzern kaufte erst kürzlich die Firma Janssen. Die Übernahme der Firma Mallingrodt durch Essex und Meca durch Vetoquinol erregte dann kaum noch Aufsehen.

Standort Deutschland

Die dramatische Ausdünnung des Arzneimittelangebotes, das Fehlen wichtiger Arzneimittel und die deutliche Kostensteigerung führt dazu, daß eine ökonomisch sinnvolle Veredelungsproduktion in Europa nur noch bedingt möglich ist. So dürften in Zukunft Lebensmittel tierischer Herkunft zu einem beachtlichen Teil vom Weltmarkt kommen, wo in vielen Ländern zu anderen Sicherheitsstandards produziert wird. Schon bei unserem Nachbarn und „nicht EU- Mitglied" Schweiz wird die Gefahr durch Arzneimittelrückstände völlig anders eingeschätzt. Während deutsche Landwirte von existenzvernichtenden Sanktionen bedroht werden, dürfen in der Schweiz die in der EU verbotenen Arzneistoffe Chloramphenicol, Nitrofurantoin, Furazolidon und Nitrofural noch ganz legal eingesetzt werden.

Sieben Jahre verloren

Obwohl die besagte EU - Verordnung im Jahre 1990 ratifiziert wurde, haben weder landwirtschaftliche noch tierärztliche Interessenvertreter die drohende Katastrophe erkannt. Aus beiden Richtungen kamen in den letzten Jahren keine Vorschläge, welche Arzneimittel bzw. Arzneistoffe für eine moderne Veredelungsproduktion und eine tierschutzgerechte Veterinärmedizin zwingend notwendig sind. Auf diesem und vielen anderen Feldern hat nie eine qualifizierte Lobbyarbeit in Brüssel, Berlin und London stattgefunden.

„Null - Risiko - Mentalität"

Es besteht also die konkrete Gefahr, daß sich eine „Null - Risiko - Mentalität" und der Wunsch nach totalem Verbraucherschutz - sei er nun politisch vorgeschoben oder tatsächlich vorhanden - eher ins Gegenteil verkehrt. Die bundesdeutschen Lebensmittelskandale hatten auch ihre positive Seite. Sie konnten, da sie in der Bundesrepublik stattfanden, auch hier aufgedeckt und abgestellt werden! Beim Import vom Weltmarkt hat der deutsche Konsument keinen Einfluß mehr darauf, zu welchen sozialen, umwelthygienischen, tierschutz - und arzneimittelrechtlichen Standards produziert wird. Oder glaubt auch nur ein deutscher Verbraucherschützer, daß er Zutritt in osteuropäische Ställe und Schlachthöfe bekommt! Da sorgt allein schon die Sprache und die Entfernung für die nötige „Diskretion".

Kurzbeitrag:

Der nächste Erreger kommt bestimmt!

Keine Frage, der Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion läßt sich durch Management,

Hygiene und Impfprogramme deutlich reduzieren. Grundsätzlich werden aber auch in Zukunft im Erkrankungsfall immer wieder Antibiotika benötigt. Tiere in menschlicher Obhut haben ein ethisches Recht auf eine antibiotische Behandlung. Aus dem Verbot ganzer Antibiotikagruppen für die Tierproduktion erwachsen noch ganz andere Gefahren. Was passiert, wenn sich neue bakterielle Erreger entwickeln bzw. in Schweine und Rinderställe eingeschleppt werden und sich das bestehende Antibiotikaangebot als unwirksam erweist. Schon jetzt hat der Verlust der Nitrofurane (Furazolidon, Nitrofurantoin, Furaltadon), der Nitroimidazole (Ronidazol, Metronidazol, Dimetridazol) und Chloramphenicol für die Therapie von lebensmittelliefernden Tieren und der hieraus zwangsläufig verstärkten Nutzung der verbleibenden Antibiotika zu einer beachtlichen Resistenzsteigerung beigetragen.

Resistenzen isolierter Enteritiserreger beim Schwein in % (Klarmann, 1997)
Wirkstoff E. coli hämol. E. coli Salm. typhimurium
Ampicillin 75,9 77,5 55,0
Enrofloxacin 26,4 8,1 10,0
Tetracyclin 100,0 97,9 100,0
Colistin 73,5 67,3 90,0
Sulfonamid / Trimethoprim 58,4 44,9 30,0
Gentamicin 64,1 46,9 40,0
Neomycin 30,1 55,1 10,0
Streptomycin 100,0 100,0 100,0
Spectinomycin 83,0 91,8 100,0

Selbst wenn man dann beim Auftreten eines bisher unbekannten und hochresistenten Erregers per Eilerlaß die Anwendung von Humanarzneimittel zuläßt, liegen diese Präparate doch in einer Konfektionierung vor, die die Behandlung von Großbeständen unmöglich macht. Durch Hygiene und Management lassen sich Tierbestände nur bedingt sicher machen. Der „Schweinepestfall Losten" hat gezeigt, daß auch Betriebe mit vorbildlicher Hygiene nicht 100 % sicher vor Einschleppung eines Erregers sind. Nur eines ist sicher: Der nächste Erreger kommt bestimmt!


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