"Artgerechte Haltung" - mehr als nur ein Schlagwort
Zebra an Milzbrand verendet! Foto: WHO |
Kaum eine Rede oder ein Zeitungsartikel zur Tierhaltung kommt ohne den Begriff "artgerecht" aus.
Dabei darf "artgerecht" nicht mit dem Leben in freier Natur verwechselt werden. Es ist
gesellschaftlich akzeptiert, dass Wildtiere in der freien Natur an Seuchen und quälendem
Parasitenbefall verenden, in Dürrezeiten jämmerlich verdursten oder in strengen Wintern
langsam verhungern oder elendig erfrieren. |
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Ein Landwirt, der so etwas in seinen Ställen zuließe,
fände sich alsbald vor Gericht mit dem Vorwurf "Tierquälerei" wieder. Der Mensch hat also unter anderem eine ausreichende Fütterung, technisch intakte Ställe und eine Versorgung
nach dem aktuellen Kenntnisstand der Veterinärmedizin gewährleisten.
Anlässlich des Seminars "Tierschutz beim Schwein" am 07.03.2001 in Langen
referierte Prof. Karl Heinritzi (München) zum Thema "Artgerechte Haltung
beim Schwein". Er führte unter anderem aus:
Seit der Mensch Tiere domestiziert, ist das Tier auf die ständige Versorgung durch den Menschen
angewiesen und damit auch dem Angebot, das es vom Menschen zu erwarten hat, ausgesetzt. Mit der
Intensivierung der Landwirtschaft hat der Einfluss auf die Tiere durch Haltung, Fütterung,
Management wesentlich zugenommen.
Von der modernen Landwirtschaft wird gefordert, dass dem Umweltschutz
Rechnung getragen wird, dass hochwertige und unbedenkliche Lebensmittel
produziert werden und dies zum möglichst niedrigen Preis.
Den Preis hat dann vielfach das Tier zu bezahlen, das nicht mehr artgerecht
gehalten werden kann. Das Wort Massentierhaltung weckt unschöne Emotionen
und trifft trotzdem für nahezu alle Schweinebestände zu, da Schweine nie
als Einzeltiere, sondern immer zu mehreren in einem Stall zusammen gehalten
werden.
Ein Großteil der Krankheiten, Schäden und Leiden unserer Schweine resultieren aus Fehlern
in der Betriebsführung, der Haltungsform, der Klimaführung oder der Fütterung. Neben
diesen sogenannten Technopathien, ist im Hinblick auf den Tierschutz auch an die
sogenannten zootechnischen Eingriffe zu denken.
Das Wort artgerecht ist schwierig zu definieren. Eine englische Arbeitsgruppe, das FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL, hat
hierzu fünf Forderungen (The Five Freedoms (1)) formuliert.
1. Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung
2. Freiheit von ungeeigneter Unterbringung
3. Freiheit von Schmerz, Krankheit und Verletzung
4. Freiheit von unnötiger Belastung und
5. Freiheit zur Ausübung normalen Verhaltens
Es ist bei einer artgerechten Haltung auf die Fütterungstechnik, die
Futterzusammensetzung, die Futterqualität und auf eine ausreichende
Wasserversorgung zu achten. Jede Fütterungstechnik kann sich positiv wie
negativ auf die Tiere auswirken und muss individuell auf den jeweiligen
Bestand und Betriebsablauf eingestellt werden. Hier sind vor allem bei
Freilaufhaltung die Verhaltensmuster der Sauen zu berücksichtigen.
Das Futter muss der Altersstufe und Nutzungsgruppe entsprechend
zusammengesetzt sein und dementsprechende Inhaltstoffe aufweisen.
Freiheit von ungeeigneter Unterbringung
Hier ist die gesamte Stallanlage ins Auge zu fassen. Als einer der
wichtigen Punkte ist hier die Klimaregulierung bezüglich Stalltemperatur,
Frischluftzufuhr und Schadgasgehalt zu sehen.
Freiheit von Schmerz, Krankheit und Verletzung
Freiheit von Krankheiten und damit Schmerzen umfasst die gesamte
Schweinemedizin. Um das Infektionsrisiko für den Bestand zu minimieren,
sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es zur artgerechten
Tierhaltung gehört, möglichst keine Erreger in den Bestand einzuschleppen.
Dies bedeutet einen kontrollierten Zukauf aus wenigen möglichst in der
Region gelegenen Beständen.
Um potentiellen Krankheiten gezielt vorbeugen zu können sind Impfungen
ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheitsvorsorge und damit der
tierschutzgerechten Haltung. Der Impfakt verlangt aber in jedem Fall
ein wohldurchdachtes medizinisches Handeln (A. Mayr). Dies sowohl im
Hinblick auf die Gesundheit der Muttertiere aber auch die der Ferkel.
Ferkel erhalten ihre schützenden Antikörper über die Milch der Sauen.
Um Ferkelkrankheiten vorzubeugen müssen also die Muttersauen während
der Trächtigkeit geimpft werden. Es muss also bei diesen Krankheiten
die Vakzination nach Produktionsphase ausgerichtet sein.
Anders ist dies bei Infektionskrankheiten wie z. B. dem Rotlauf, die
das Muttertier betreffen. Hier sollte die ganze Herde unter einem
einheitlichen Immunstatus stehen.
In einer artgerechten Haltungen müssen regelmäßig Räudebehandlungen
stattfinden, ebenso wie eine gewissenhafte Endoparasitenbekämpfung.
Für eine artgerechten Haltung spielt der Stallboden eine wesentliche
Rolle. Die Anforderungen, die an einen Stallboden gestellt werden sind
hoch. So soll er ausreichende Trittsicherheit bieten, soll Abrieb-neutral
sein und einen gewissen Liegekomfort bieten. Der Boden muss auf die
jeweilige Altersgruppe ausgerichtet sein. Für die Saugferkel darf die
Bodenbeschaffenheit vor allem nicht zu rau sein und für die Muttertiere
muss der Stallboden griffig sein. Sie müssen in den Abferkelbuchten leicht
aufstehen und ablegen können.
In diesem Zusammenhang ist auch im Sinne einer tierschutzgerechten Haltung
zu fordern, dass Schutzvorrichtungen für Ferkel vorhanden sind, damit sie
von der Sau nicht erdrückt werden. Ferkel haben das gleiche Recht geschützt
zu werden wie die Muttertiere.
Ein Ferkelschutzkorb schützt die Ferkel vor dem Erdrücken!
Freiheit von unnötiger Belastung
Im Hinblick auf den Tierschutz sind Belastungen, wie z. B. das Kürzen der
Zähne, zu berücksichtigen. Dass das Kürzen der Zahnspitzen Tierschutz-
konform sein kann, zeigt eine umfangreiche Studie. Ferkel kämpfen mit
ihren spitzen Zähnen in den ersten Lebenstagen um die ergiebigste Zitze
und verletzen dabei ihre Wurfgeschwister und das Gesäuge der Mutter oft
erheblich. Das Verhalten der Ferkel ist damit zu erklären, daß die Sauen
keine Milchzisterne und damit keine Speichermöglichkeit haben und so die
Milch nur in der kurzen Phase der Milchejektion für die Ferkel zur
Verfügung steht. Dies bedeutet, dass jedes Ferkel zu dem Zeitpunkt am
Gesäuge präsent und im Besitz einer funktionierenden Zitze mit hoher
Produktivität sein muss, wenn die Sau Milch gibt. Nach Einstellung der
Saugordnung, etwa 2-4 Tage nach der Geburt, fallen die Ferkel in eine
energiesparende Freß-Schlafroutine und sie verlieren keine Zeit am
Gesäuge auf der Suche nach einer funktionstüchtigen Zitze. Der Konkurrenzkampf
dient somit als frühzeitige Selektion der Ferkel, bevor
das Muttertier viel Milch an weniger überlebensfähige Ferkel abgegeben
hat. Diese Reproduktionsstrategie weist darauf hin, dass zu allererst
darauf zu achten ist, dass möglichst nur Sauen mit gut laktierenden
Gesäugen in die Produktion kommen. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass
die Häufigkeit und der Schweregrad der aufgetretenen Bissverletzungen bei
den Ferkeln mit belassenen Zähnen signifikant höher lagen, als bei den
Tieren, denen die Zähne reseziert worden waren. Die Aufzuchtverluste
waren bei den Ferkeln mit abgeschliffenen Zähnen am geringsten und die
Gewichtszunahmen bei denen mit belassenen Zähnen am niedrigsten. Das
sind Argumente, die für das Zähneabschleifen sprechen. Das Kürzen der
Zähne hilft nur die Folgen der schweren Kämpfe zu mindern und es muss
von Fall zu Fall entschieden werden, ob man sie nun belässt oder
abschleift.
Freiheit zur Ausübung normalen Verhaltens
Beim Schwein spielt der Geruchssinn eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus
ist Sozialverhalten ungemein wichtig. "Normales" Verhalten werden auch gut
eingerichtete Stallungen immer nur bedingt bieten können. Aber jedes Stallsystem
ist nur so gut, wie es vom Besitzer betreut wird. Eine zukunftsorientierte
Haltung muss sich aber auch an einer soliden ökonomischen Basis orientieren.
Dies bedeutet, dass neue Haltungsformen sich auch moderner Technologien
bedienen dürfen und müssen.
Der Verbraucher hat ein Anrecht auf unbedenkliche Lebensmittel, die von
gesunden Tieren stammen. Dies beinhaltet auch, dass die Tiere gesund und
artgerecht aufgezogen wurden. Tierbestände ohne Erkrankungsrisiko gibt es
nicht und wird es auch nicht geben. Dies bedeutet, dass eine tierärztliche
Versorgung auch im Hinblick auf Frühdiagnose und tierschutzgerechte Haltung
unabdingbar ist.
Es ist viel getan, wenn man sich den Satz von W. Schulze, dem Begründer der
Schweinemedizin in Deutschland vor Augen hält: "Der Mensch darf das Schwein
zu seinen Bedürfnissen brauchen und sogar verbrauchen, aber nicht
missbrauchen".
Literatur
(1) FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL (1992):
FAWC updates the five freedoms.
Vet. Rec. 17, 357
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