Schweinepraxis: Lokalanästhesie bei Ferkelkastration verursacht Schmerzen
München (aho) – Die Kastration von männlichen Ferkeln ist ein tierschutzrechtlich und von Tierfreunden emotional diskutiertes Thema. Entsprechend der EU – Richtlinien 2001/88/EG und 2001/93/EG dürfen männliche Schweine nach dem siebten Lebenstag nur durch einen Tierarzt unter Anästhesie und anschließender Verwendung schmerzstillender Mittel kastriert werden. Veterinärmediziner der Klinik für Schweine der Ludwig-Maximilians-Universität München haben untersucht, wie sich eine intratestikuläre (in den Hoden) Injektion eines Lokalanästhetikums auf den Serum-Kortisolgehalt bei der Kastration auswirkt. Wie in der Literatur beschrieben, ist der Anstieg der Konzentration des Stresshormons Kortisol im Serum ein geeigneter Parameter, um Kastrationsschmerzen zu quantifizieren und die Wirksamkeit verschiedener Methoden der Schmerzausschaltung zu vergleichen
Für diese Untersuchung erhielten 30 Saugferkel 15 Minuten vor der Kastration eine intratestikuläre Injektion des Lokalanästhetikums Procainhydrochlorid. Blutproben wurden vor der Kastration sowie eine, vier und 28 Stunden nach dem Eingriff entnommen und auf den Kortisolgehalt untersucht. Als Kontrolltiere dienten 48 Ferkel, bei denen eine Kastration ohne Medikation vorgenommen wurde, sowie 46 Ferkel, die nur einer Fixation ohne Operation unterlagen.
Die Ergebnisse sind bemerkenswert: Eine und vier Stunden nach der Kastration bestanden keine signifikanten Unterschiede der Kortisolwerte zwischen Ferkeln, die mit Lokalanästhesie (Procainhydrochlorid) operiert wurden, und Ferkeln, bei denen der Eingriff ohne Arzneimitteleinsatz erfolgte. Die Wissenschaftler folgern, dass die Kastration unter Lokalanästhesie für die Ferkel eine zum Eingriff ohne Verwendung des Lokalanästhetikums vergleichbare Belastung darstellt. Die Forderung nach einer Verringerung der Schmerzen bei der Kastration von Saugferkeln wird durch die intratestikuläre Lokalanästhesie nicht erfüllt, da zwischen anästhesierten und nichtanästhesierten kastrierten Tieren anhand der Kortisolkonzentration kein Unterschied hinsichtlich der endogenen kastrationsbedingten Schmerzreaktion nachzuweisen ist. Die Veterinärmediziner resümieren, dass die intratestikuläre Injektion zur Schmerzausschaltung zu erheblichen Schmerzen führt. Die Forderung nach einer Schmerzreduktion bei der Kastration von Saugferkeln wird durch eine intratestikuläre Lokalanästhesie mit Procainhydrochlorid nicht erfüllt, da der Injektionsschmerz eine gleiche Kortisolausschüttung bedingt wie die Kastration selbst.
Hintergrund:
Für eine Allgemeinanästhesie stehen beim Schwein Azaperon, Ketamin und nach Umwidmung auch Thiopental und Isofluran zur Verfügung. In den Niederlanden empfiehlt die Arbeitsgruppe „Alternativen zur Ferkelkastration“ dem Landwirtschaftsministerium, ab 2006 Ferkel nur noch unter örtlicher Betäubung zu kastrieren. Das norwegische Parlament verbietet ab 2009 die Kastration von Ferkeln vollständig und erlaubt bis dahin deren Kastration nur von einem Tierarzt unter angemessener Schmerzausschaltung. Deshalb wird in Norwegen die Kastration meist erst nach intratestikulärer Injektion eines Lokalanästhetikums (Lidocain) von einem Tierarzt durchgeführt. Die in der Schweiz praktizierte Kastration unter Halothannarkose ist in der Europäischen Union nicht durchführbar, da Halothan für die Anwendung beim Schwein keine Zulassung besitzt.
S. Zöls, M. Ritzmann, K. Heinritzi Einsatz einer Lokalanästhesie bei der Kastration von Ferkeln Tierärztl Prax 2006; 34 (G): 103-6