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Bundesverfassungsgericht: Tierrechtler dürfen nicht mit Holocaustopfern werben

Karlsruhe (aho) — Das Bundesverfassungsgericht hat der Tierrechtsorganisation PETA eine Werbekampagne verboten, bei der landwirtschaftlich Masttiere mit toten Häftlingen von Konzentrationslagern verglichen wurden. Nach Meinung des Gerichts verstößt die Kampagne mit dem Titel „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ gegen die Persönlichkeitsrechte heute lebender Juden. Der unzulässige Vergleich zwischen „menschlichem, würdenbegabtem Leben“ und den Belangen des Tierschutzes führe zu einer „Bagatellisierung und Banalisierung des Schicksals der Holocaustopfer“, heißt es in dem Beschluss vom 20. Februar 2009 (1 BvR 2266/04 und 1 BvR 2620/05).

Das Gericht erläutert die Entscheidung eingehend:

Im März 2004 wollte Peta (Beschwerdeführer) eine Werbekampagne unter dem
Titel „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ beginnen. Dabei sollte unter anderem auf
Plakatwänden jeweils ein Foto aus dem Bereich der Massentierhaltung
neben einer Abbildung von lebenden oder toten Häftlingen von
Konzentrationslagern aus der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt
werden. Die Darstellungen sollten jeweils mit einer kurzen Beschriftung
versehen werden, die so angelegt war, dass sie vom Betrachter als auf
beide Fotografien gleichermaßen bezogen angesehen werden musste. Die
Kläger der Ausgangsverfahren waren seinerzeit der Präsident und die
Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, die als
Kinder den Holocaust, dem ihre Familien teilweise zum Opfer fielen,
überlebten. Sie beantragten beim Landgericht gegen den Beschwerdeführer
eine einstweilige Unterlassungsverfügung, der entsprochen wurde. Die
dagegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers verwarf das
Kammergericht. Die Kläger verfolgten ihr Unterlassungsbegehren sodann
im Hauptsacheverfahren erfolgreich weiter. Die eingelegte Berufung des
Beschwerdeführers gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts wies
das Kammergericht mit Beschluss zurück.

Der Beschwerdeführer griff sowohl die im Eilverfahren als auch die im
Hauptsacheverfahren ergangenen Entscheidungen mit der
Verfassungsbeschwerde an. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat beide
Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Hinsichtlich
des fachgerichtlichen Hauptsacheverfahrens hat sie darauf abgestellt,
dass dem Beschwerdeführer durch die Versagung einer Sachentscheidung
kein besonders schwerer Nachteil entsteht, weil deutlich abzusehen ist,
dass er auch im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im
Ergebnis keinen Erfolg haben würde.

Allerdings begegnet die Begründung, auf die das Landgericht und im
Anschluss daran das Kammergericht den Unterlassungsanspruch der Kläger
stützen, verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte gehen davon aus,
dass die Kläger als frühere Verfolgte der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft durch die Kampagne des Beschwerdeführers in ihrer
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen seien. Infolge dieser
Auffassung halten die Gerichte es nicht für erforderlich, die Rechte
der Kläger einerseits und die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers
andererseits abwägend zueinander ins Verhältnis zu setzen.

Zwar gehen die Gerichte zu Recht davon aus, das maßgebliche verständige
und unvoreingenommene Publikum verstehe die Gegenüberstellung der
Fotografien dahingehend, dass das den abgebildeten Tieren zugefügte
Leid als ebenso schwerwiegend wie das der daneben ins Bild gesetzten
Menschen und beider Behandlung als gleichermaßen verwerflich
hingestellt werde. Jedoch dürfte durch die so verstandene Äußerung
weder unmittelbar die Menschenwürde der abgebildeten Menschen noch die
der Kläger in der von den Fachgerichten angenommenen Weise verletzt
sein mit der Folge, dass es auf eine weitere Abwägung nicht mehr
ankommen würde. Es steht zwar außer Frage, dass die Fotografien der
Holocaustopfer diese fast ausnahmslos in einer Situation zeigen, in der
sie durch ihre Peiniger in höchstem Maße entwürdigt sind. Daraus, dass
die Kampagne sich bildlicher Darstellungen schwerer
Menschenwürdeverletzungen bedient, folgt aber nicht ohne weiteres, dass
sie auch ihrerseits bezogen auf die heute in Deutschland lebenden
Juden erneut unmittelbar gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt.

Nach der sogenannten Objektformel des Bundesverfassungsgerichts wird
die Schwelle zur allgemeinen Verletzung der Menschenwürde dort
überschritten, wo der Mensch einer Behandlung ausgesetzt wird, die
seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt und daher Ausdruck
der Verachtung des dem Menschen kraft seines Personseins zukommenden
Wertes ist. Dies ist der angegriffenen Kampagne aber nicht eigen.
Insbesondere wird den dargestellten Holocaustopfern nicht der personale
Wert abgesprochen, indem sie in der vorliegenden Art und Weise
leidenden Tieren gegenübergestellt werden. Mag auch der
Beschwerdeführer generell von der Gleichwertigkeit menschlichen und
tierischen Lebens überzeugt sein, so liegt in der geplanten
Bildkampagne nach der von den Fachgerichten zugrunde gelegten Deutung
keine verächtlich machende Tendenz. Als gleich gewichtig wird nämlich
allein das Leiden dargestellt, das den abgebildeten Menschen und Tieren
zugefügt wird.

Auch die weitere von den Fachgerichten angestellte Erwägung, der
Beschwerdeführer benutze das bildlich dargestellte leidvolle Schicksal
der Holocaustopfer, das von den Klägern in gewissem Umfang geteilt
wird, um auf das Anliegen des Beschwerdeführers aufmerksam zu machen,
trägt die Annahme eines Menschenwürdeverstoßes nicht. Denn auch dieser
Indienstnahme der leidvollen Lebensgeschichte eines anderen Menschen
ehlt es an dem Merkmal der prinzipiellen Objektivierung, also
Verachtung des dem Menschen um seiner selbst willen zukommenden Wertes.

Indes braucht die Frage, ob die Gerichte vorliegend von einer
Verletzung der Menschenwürde oder des ebenfalls keiner Abwägung
zugänglichen Menschenwürdekerns des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
ausgehen durften, nicht abschließend entschieden zu werden, weil die
Annahme der Verfassungsbeschwerde unabhängig davon nicht angezeigt ist.
Der den Klägern zugesprochene Unterlassungsanspruch lässt sich nämlich
verfassungsrechtlich tragfähig auch ohne den zweifelhaften Rekurs auf
die absolut geschützte Menschenwürde begründen und den angegriffenen
Entscheidungen ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Gerichte
im Fall einer Zurückverweisung zu keinem anderen Ergebnis kommen
würden.

Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die angegriffenen
Entscheidungen darauf abstellen, dass nicht nur nach der – empirischen
– Mehrheitsmeinung, sondern nach den Bestimmungen des Grundgesetzes ein
kategorialer Unterschied zwischen menschlichem, würdebegabtem Leben und
den Belangen des Tierschutzes besteht, und infolgedessen die Kampagne
des Beschwerdeführers als eine Bagatellisierung und Banalisierung des
Schicksals der Holocaustopfer bewerten. Dem so verstandenen
Aussagegehalt der Werbekampagne durften die Gerichte auch eine
Herabsetzung gerade der Kläger des Ausgangsverfahrens entnehmen, die
deren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
berührt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn die Fachgerichte
in der Leugnung der Judenverfolgung unter dem Nationalsozialismus eine
schwere Persönlichkeitsverletzung auch der heute lebenden Juden
erblicken. Die Erwägung, dass es zum personalen Selbstverständnis der
heute in Deutschland lebenden Juden gehöre, als zugehörig zu einer
durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden,
der gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen
bestehe, und dass dieses Teil ihrer Würde sei, lässt sich auf den
vorliegenden Sachverhalt übertragen.

Namentlich die in den angegriffenen Entscheidungen bereits enthaltenen
Ansätze zu einer Abwägung sprechen hinreichend deutlich dafür, dass die
Gerichte im Fall einer Zurückverweisung mit dieser Argumentation erneut
zu einer Stattgabe gelangen würden.

Beschluss vom 20. Februar 2009 – 1 BvR 2266/04 und 1 BvR 2620/05 –

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