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Fragwürdiges Experiment in den Niederlanden und seine Folgen: „Das Leid der Tiere ist immer noch besser als die Jagd“

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Berlin (DJV) – Die Saison der Bewegungsjagden ist nur noch wenige Wochen entfernt, für Medien ist Jagd dann ein Thema. Auch jagdkritische Stimmen werden im Herbst lauter. In den Niederlanden sollte jüngst ein mit EU-Mitteln gefördertes Projekt zeigen: Die Natur regelt sich selbst. Das Gebiet Oostvaardersplassen liegt nordöstlich von Amsterdam und ist Eigentum der staatlichen Waldbehörde. Auf dem rund 5.600 Hektar großen, umzäunten Areal werden Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde gehalten. Schlagzeilen machte das Projekt, als 2010 ein Fernsehteam hinter die Kulissen blickte und schockierende Aufnahmen von verhungerten Hirschen machte. Was war los? Und wie ist die Situation heute? Der DJV befragte Marlies Kolthof von der Koninklijke Nederlandse Jagers Vereniging, dem Dachverband der niederländischen Jäger.

Die Natur sollte sich in Oostvaardersplassen selbst regeln, ohne Jagd. Was waren die Folgen?

Oostvaardersplassen besteht zu mehr als der Hälfte nur aus Wasserflächen. Auf den etwa 2000 Hektar Land haben sich die Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde innerhalb kürzester Zeit prächtig vermehrt. Im Winter wurde dann recht schnell die Nahrung knapp. Eskaliert ist die Situation im besonders kalten Winter 2009/2010. Ein Fernsehteam verschaffte sich zusammen mit Vertretern der Organisation Vereniging Het Edelhert (Liebhaber von Rothirschen) illegal Zutritt zum Gelände. Sie filmten in Teilen von Oostvaardersplassen, die für die Öffentlichkeit gesperrt sind. Die Aufnahmen zeigen stark abgemagerte, apathische Tiere und unzählige Kadaver. Auf der Suche nach Futter haben die Tiere versucht, Wasserflächen zu durchqueren und sind jämmerlich ertrunken. Überall erkennt man starke Schälschäden an den Bäumen.

Welche Konsequenzen hat die Regierung gezogen –und wie reagierten Tierschützer?

Nach der Fernsehsendung gab es in der ganzen Gesellschaft eine Diskussion über das Leid der Tiere. Viele Leute waren erschüttert von den Bildern und innerhalb eine Woche gab es eine Debatte im Parlament zu den Vorgängen. Die Partei für Tierrechte hat wirklich mit allen Mitteln versucht, die Situation in Oostvaardersplassen zu rechtfertigen. Das Leid der Tiere sei immer noch besser als Jagd, war eine Aussage. Sogar die eigene Anhängerschaft hat es aber schließlich nicht mehr akzeptiert.
Die staatliche Waldbehörde hat Anfang 2010 behauptet, dass nur ein Viertel der Tiere im Winter gestorben sei. Eine Stiftung, speziell gegründet für das Wohlergehen der Tiere in Oostvaardersplassen, hat dann später bekanntgegeben, dass tatsächlich drei Viertel der Tiere im Winter 2009/2010 verendet sind.

Die niederländische Regierung hat wenig später beschlossen, die Vorkommnisse durch eine unabhängige Kommission untersuchen zu lassen, der Untersuchungsbericht lag im November 2010 vor. Die Leiterin, die ehemalige Staatssekretärin Dzsingisz Gabor, hat die Tierrechtspartei darin scharf kritisiert. Der gegenwärtige Staatssekretär Henk Bleker, der verantwortlich ist für die staatliche Waldbehörde, hat schließlich eingestanden, dass das Experiment, die Natur sich selbst regeln zu lassen, gescheitert war. Er hat befürwortet, dass 30 Prozent der Hirschpopulation in Oostvaardersplassen zum Herbst geschossen werden müssen, damit die übrigen 70 Prozent eine gute Chance haben, den Winter zu überleben.

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Allerdings ist die Nutzung des Wildbrets immer noch tabu. Erst Anfang eines Winters wird die Entscheidung getroffen, welche Tiere geschossen werden. Das sind dann meistens kranke und alte Tiere. Einige Kadaver verbleiben in Oostvaardersplassen als „Biomasse“ und die anderen werden vernichtet.

Nachhaltige Jagd oder „wise use“ natürlicher Ressourcen wie Wildbret ist von der IUCN als eine Art von Naturschutz anerkannt. Was spricht dagegen, die Tiere in Oostvaardersplassen nachhaltig zu bejagen?

Oostvaardersplassen gilt als ein besonderes Naturgebiet. Es ist eines der wichtigsten Gebiete in den Niederlanden, wo in relativ großem Umfang Erfahrungen gesammelt werden mit der Naturentwicklung. Das Einsetzen von Rothirschen, Heckrindern und Wildpferden war vom Anfang an ein Teil des Konzepts. Einerseits mit dem Ziel, alternative Beweidungsmethoden zu testen, andererseits um zu versuchen, ein sich selbst regulierendes Ökosystem zu schaffen. Die Jagd oder „wise use“ käme also dem „Fluchen in der Kirche“ gleich.

Was fordern die Niederländischen Jäger?

Die Jäger in den Niederlanden fordern als Minimalstandard die Berechnung der Lebensraumkapazität für Oostvaardersplassen. Für wie viele Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde gibt es auf 2000 Hektar trockenem Grund ausreichend Nahrung – auch während des Winters? Auf dieser Basis sollte ein Abschussplan erarbeitet werden, um den Überschuss abzuschöpfen.

Die staatliche Waldbehörde verpasst unserer Meinung nach eine hervorragende Chance. Durch den lokalen Verkauf von Fleisch und Wildbret könnten Menschen für Oostvaardersplassen und die dort lebenden Tiere begeistert werden. Der „Nationaal Park De Hoge Veluwe“ ist da ein sehr gutes Vorbild. Lokale Produkte liegen im Trend bei Amateurkochs und in Restaurants. Auch Biofleisch ist im Moment sehr angesagt angesichts der Diskussion über intensive Viehhaltung.

11 Kommentare, Kommentar oder Ping

  1. bin platt

    Hätte nie gedacht das solche „Experimente“ im so pragmatischen Holland möglich sind! Tierschützer, die so etwas befürworten und zu verantworten haben, gehören eingesperrt. Was spricht gegen Regulierung durch Jagd? und die nachhaltige Nutzung von Wildbret. Die Fleischerzeugung aus der (angeblich) so tierquälerischen Massentierhaltung wäre (etwas) geringer. Der Mensch braucht tierisches Eiweiß zu einer vollwertigen Ernährung und er wird es sich auch in Zukunft holen. Wer dies negiert ist intellektuell auf einer Kindergartenstufe stehen geblieben und akzeptiert nicht das zum Leben auch der Tod gehört wie in jeder natürlichen Prädator – Beute Beziehung.

  2. Holländer

    Zuerst. Die Tiere aus Experementierzwecken verhungern zu lassen geht gar nicht.
    Die Sache dient jedoch auch nicht als Beweis, dass Jagd notwendig wäre. Denn seit wann sind Hobbyjäger für die Dezimierung von Rindern und Pferden zuständig?
    Elementare Punkte werden vollkommen ausser Acht gelassen. Erstens ist es ein kleines und „eingezäuntes“ Gebiet in das Tiere, so auch die Rothirsche, die dort so nicht natürlich vorkommen würden, ausgesetzt wurden. Dann hatten durch die Einzäunung die Tiere keine Möglichkeit abzuwandern um sich woanders Futter zu suchen. Dann werden die Entwicklungen der Tierpopulationen, die dort natürlich vorkommen wie z.B. Vogelwild oder Füchse in keinster Weise genannt. Warum? Vielleicht weil sich da Ergebnisse zeigen, die Jäger nicht hören will?
    Für eine Debatte Für oder Gegen Jagd oder die Selbstregulation von Tierbeständen ist Oostvaadersplassen aus o.g. Gründen nicht geeignet. Natürlich greifen die Jäger diese Sache bereitwillig auf um sich nicht haltbare Argumente zurechtzubiegen. Ihre eigene tägliche Tierqual die sie den Wildtieren durch ihre Hobbyjagd angedeihen lassen, wird wie immer ausgeblendet.

  3. Gundhar

    Zur Entwicklung der Tierpopulationen beim Vogelwild ist anzumerken, daß seit dem faktischen Jagdverbot auf Wildgänse in Holland diese während der Mauser zu Tausenden in Netzen eingefangen und vergast werden. Da sie nicht ordnungsmäßig geschlachtet oder bei der Jagd erlegt wurden dürfen sie auch nicht zur Ernährung verwendet werden. Die Kadaver werden vernichtet.

    Das Märchen vom Gleichgewicht in der Natur wird immer wieder angeführt. Es basiert auf den Gleichungen von Lotka und Volterra in den 20er Jahren. Die Wechselwirkungen können so auftreten wie sie beschrieben werden, müssen es aber keinesfalls immer. Siehe Wiki: http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A4uber-Beute-Beziehung

    Ein einfaches Schema für komplexe Wechselwirkungen zu betrachten geht fast immer schief.

    Deutlich angebrachter sind hier die Untersuchungen den Max Plank Institutes über Ökosysteme. Hier wird anhand von Modellen untersucht ob sich überhaupt ein Gleichgewicht einstellen kann und welche Einflüsse zur Erzielung eines Gleichgewichtes erforderlich sind. http://www.iiasa.ac.at/Admin/INF/PR/2009/2009-08-06g.html

  4. bin platt

    @holländer
    Sie haben natürlich recht: „Jagd“ im eingezäunten Oostvaadersplassen kann es nicht geben, nur Regulierung durch angestellte Mitarbeiter. Für die Tiere läuft es aber irgendwie auf das gleiche hinaus und es ist ungleich humaner als die Tiere massenhaft verhungern zu lassen.
    Ihr Zitat (verkürzt): „Hobbyjagd = tägliche Tierqual“ – dies ist eine gemeine Unterstellung!
    Ebenso falsch ist es die Jagd als „Hobby“ zu bezeichnen. Jagd ist eher eine Freizeitbeschäftigung die einer Lebensauffassung entspringt, die den Menschen als Teil der Natur sieht und ihn nicht als ständigen Störfaktor heraus expediert.
    Natürlich macht der Mensch die Natur kaputt – ständig und überall – aber es sind bestimmt nicht „die Jäger“ bloß weil sie einen Teil des Wildbestandes abschöpfen.
    Schönen Gruß nach Holland!
    (und reißt endlich den Zaun ein)

  5. Naturfreund

    Ok, angenommen der Zaun würde eingerissen und die Tiere suchen sich Nahrung außerhalb. Wie würde das aussehen und was würde dann passieren? Genau: die Tiere würden sich so vermehren, dass die Schälschäden an Bäumen nicht nur regional begrenzt blieben. Auch die Felder der Bauern, Gärten etc. wären nicht mehr sicher. Wie auch, die Tiere haben außer dem Menschen ja keine natürlichen Feinde. Am Ende gibt es dann trotzdem wieder Nahrungsmangel, der führt zu Seuchen oder eben wieder dem Hungertod. Und ZUSÄTZLICH ist unsere Kulturlandschaft, Wälder, Feld und Flur so stark geschädigt, dass es Jahre und Millionen bedarf, das wieder zu korrigieren. In einer naturbelassenen Gegend, in welcher es Beutegreifer gibt UND die Schäden wie zeitweise Versteppung nicht weiter ins Gewicht fallen, funktioniert eine Selbstregulierung wohl. In unserer stark zersiedelten Kulturlandschaft nicht. Die Jagd ist und bleibt daher – auch wenn dieses „Experiment“ auf dem Rücken der Tiere so schiefgehen musste – notwendig. zudem ist Wildfleisch das beste Biofleisch, was man bekommen kann.

  6. Cool45

    Man sieht ganz einfach, wir brutal die Natur ist. Wie sollte man sich denn sonst erklären, wie die Natur es früher geregelt hat. Und diese Regelung des Bestandes wurde nicht durch Raubtiere durchgeführt, sondern durch Seuchen und dem Hungertod. Und ich frage jetzt einmal: Was ist besser, ein Tier, das durch einen Schuss in 2 Sekunden stirbt, oder ein Tier, das Tage keine Nahrung findet und letztendlich qualvoll verendet. Und wenn man nur von einem kleinem Bereich spricht, wie hier in diesem Experiment, so kann man das auf einen ganzen Kontinent beziehen. Wenn europaweit nicht mehr gejagt wird, vermehren sich überall die Tiere und selbst wenn diese woanders hinwandern, werden sie vermutlich auch keine Nahrung finden, weil es dort genauso viele Tiere gibt. Heißt im Endeffekt, warum sollte man die Natur alles regeln lassen, was auch für uns Menschen ein großer Schaden wäre, wenn wir es nicht selbst regeln können? Wir leben nicht mehr vor 300 Jahren, wir haben jetzt die Möglichkeit und das Wissen!

  7. Sabine

    Okay, da hat jemand ganz klar in Biologie nicht aufgepasst. Warum sollte man keine Jäger benötigen, wenn man keine Raubtiere hat. Ohne Geburtenkontrolle vermehren sich natürlich die Tiere wie doof oder verhungern elend. Was sollte denn anders passieren, wenn ich das Gebiet eingrenze und keine Raubtiere vorhanden sind?! Sinn und Zweck? Gucken wieviel Tiere verhungern? Gibt es in ganz Holland keine Biologen die einen natürlichen Kreislauf ohne Jäger verstehen? Ohje..arme Welt… das tut weh!

Reply to “Fragwürdiges Experiment in den Niederlanden und seine Folgen: „Das Leid der Tiere ist immer noch besser als die Jagd“”

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