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Offener Brief an Land- und Fleischwirtschaft

von Udo Pollmer, Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E.)

Wie Sie aus leidvoller Erfahrung wissen, ist vielen Menschen der Appetit auf Fleisch gründlich vergangen – selbst denen, die bisher gerne ihr Wurstbrot aßen oder mit Vergnügen saftige Steaks grillten. Entgegen der populären Auffassung sind daran weniger BSE-Fleisch oder nitrofenhaltiges Hühnerfutter schuld. Blicken wir zurück: Obwohl die Fleischproduktion über Jahrzehnte von Skandalen und Krisen begleitet wurde, war die Welt stets wenige Wochen nach der großen Empörung samt Kaufboykott wieder in Ordnung und es blieb bei den alten Konsumgepflogenheiten. Doch die Zeiten haben sich geändert. Bereits belanglose Anlässe wie eine schwankende Kuh oder Übelkeit nach dem Verzehr einer Torte bewirken heutzutage nachhaltige Veränderungen des Marktes. Selbst Jahre nach dem Beginn der BSE-Krise ist der Vertrauensverlust nicht wettgemacht – trotz erheblicher Anstrengungen, das Produkt Fleisch sicherer zu machen. Wer dafür in erster Linie den Journalismus oder die Sensationslust verantwortlich machen will, verkennt, dass die nachhaltige Änderung im Verbraucherverhalten andere Ursachen haben muss. Schließlich entscheidet nicht allein der Journalist, welche Themen erfolgreich sein werden: Nur solche, die beim Kunden auf starke Resonanz stoßen, halten sich in den Medien. Nicht anders war es während der BSE-Krise der Fall. Selbst die überwiegende Mehrzahl der Journalisten war der Meinung, dass das Thema innerhalb weniger Tage oder Wochen „gegessen” sei. Es haben sich alle geirrt.

Esssünden und Gewissensbisse

Eine wichtige Ursache für die Krise liegt tiefer. Früher galt Fleisch als „gesund” und „lebenswichtig”. Das hat sich grundlegend geändert. Seit Jahren warnen Frauenzeitschriften, Gesundheitssendungen, Ernährungsgesellschaften und Ärzte vor „Cholesterin” und „versteckten Fetten”. Sie attackieren Fleisch als Ursache von Schwabbelbäuchen, Darmkrebs und Herzinfarkt. Statt dessen empfehlen sie den Verzehr von Körnern, Salatblättern und Obst. Doch der Erfolg ihrer Bemühungen blieb bisher bescheiden, denn der Appetit hat beim Essen ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Solange der Verbraucher das Fleisch noch als ein „Stück Lebenskraft” ansah, konnten ihm auch Skandale nicht viel anhaben. Jetzt aber geben tierische Lebensmittel Anlass zu Gewissensbissen – nicht zufällig haftet dem Braten das Image einer „Esssünde” an. Diese Destabilisierung des Vertrauens in die ernährungsphysiologische Unbedenklichkeit eines begehrten Nahrungsmittels legte den Grundstein für die Agrar-Krise. Denn wer „Ungesundes” mit schlechtem Gewissen isst und „Esssünden” begeht, der rechnet innerlich auch mit Strafe. Entsprechend wurde BSE als „gerechte Strafe” für das unmoralische Verhalten der Menschen empfunden, frei nach dem Motto: Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, größere haben Inkubationszeiten wie BSE. Dass Fleischessen immer mehr zur Gewissensfrage wird, belegt etwa die Haltung von Schülerinnen in deutschen Großstädten. So verzichtet bereits ein erheblicher Teil auf den Verzehr von Fleisch – aus Mitleid mit dem Tier. Im Laufe der Pubertät spielt dann die Angst vor Fett und Übergewicht eine immer wichtigere Rolle. Wer sich in seiner Kindheit oder Jugend des Fleischverzehrs entwöhnt, verträgt oftmals für den Rest seines Lebens keinerlei Fleisch. Die Generationen hingegen, die Zeit ihres Lebens Fleisch und Wurst gegessen haben, werden das auch noch tun, wenn sie 80 sind – die Jungen aber nicht mehr. Das verändert die Märkte ebenso langsam wie unumkehrbar.

Privileg der Wohlstandsgesellschaft

Natürlich kommen die Kids nicht aus heiterem Himmel auf die Idee, dass man Tiere nicht schlachten darf. Schließlich haben sie keinerlei Probleme, sich Videofilme à la „Kettensägen-Massaker” anzusehen und dabei scheußlichste Morddarstellungen zu genießen. Wird jedoch einem Huhn der Hals umgedreht, bekommen sie weiche Knie. Eine wichtige Ursache dafür bilden Naturdarstellungen, Schriften und Filme, welche die belebte Welt nicht mehr als ein System von Fressen und Gefressenwerden darstellen, sondern eher so wie das Paradies in den Broschüren der Zeugen Jehovas. Dort frisst der Löwe Gras, weil er das süße Lämmchen streicheln will. Doch nicht die Zeugen Jehovas haben die Menschen missioniert, sondern zahlreiche Ernährungsberater, die ihr göttliches Wissen aus den päpstlichen Dekreten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfangen haben. Alles, was die Menschen essen, macht sie angeblich krank: Zucker, Fett, Eiweiß, Salz, Cholesterin und Kalorien. Also genau das, was Gesellschaften mit einer hohen Lebenserwartung auszeichnet. Unsere Wohlstandsgesellschaft hat schließlich die Gnade, an Zivilisationskrankheiten sterben zu dürfen – weil die Parasiten und Krankheitserreger besiegt sind, weil die Seuchen zumindest vorläufig ihren Schrecken verloren haben und niemand mehr wegen einer infizierten Schnittwunde in der Blüte seines Lebens abtreten muss. Während vor 100 Jahren nur jeder Zweite an einer so genannten Zivilisationskrankheit starb, sind es heute die allermeisten. Was wie eine Bedrohung wirkt, ist Zeichen einer Gesellschaft, deren Mitglieder doppelt so lange leben, weil sie sich nicht mehr vor bakteriellen Keimen fürchten müssen – etwas, das wir auch den Fortschritten in der Land- und Lebensmittelwirtschaft verdanken. Aber offenbar hat sich in der aufklärerischen Gesundheitsszene noch nicht herumgesprochen, dass jeder Mensch eines Tages sterben muss. Jede „besiegte” tödliche Krankheit zieht eine andere ebenso tödliche Krankheit nach sich. Diese – gegen-wärtig sind es die Zivilisationskrankheiten – wird dann zur Geißel des jeweiligen Jahrhunderts ernannt, um sie durch „bewusste Ernährung” von Kindesbeinen an zu vermeiden. Folglich haben die Ernährungsspezialisten die „Fünf-am-Tag”-Kampagne aus der Taufe gehoben. Obst enthält wenig Eiweiß, wenig Fett, wenig Kalorien, wenig Cholesterin und „natürliche Süße”. In der Vorstellungswelt vieler Menschen bringt sie der Obstkonsum dem ewigen Leben ein Stück näher. Ihre Angst vor dem Sterben ist schließlich stärker als die vor Altersdemenz. Und weil die Ernährungsaufklärung bisher scheiterte, wenn es darum ging, das Ernährungsverhalten von Erwachsenen zu ändern, wendet man sich gezielt an die Kindergärten. Jetzt hat man Vierjährige als neue Zielgruppe entdeckt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Erstens können die Kinder nicht weglaufen und zweitens erspart das den missionierenden Akademikerinnen jene kritischen Fragen, die der Kampagne ihre Rechtfertigung entziehen könnten. Dabei gibt es keinerlei ernsthafte Evidenz, nach der eine vegetarische Ernährung als „gesünder” zu bezeichnen wäre als die übliche „Mischkost”. Selbst der Sprecher der Arbeitsgruppe Wissenschaft des 5- am-Tag-Vereins, Hans Konrad Biesalski, gestand ein, dass es derzeit keinerlei Beweis für eine präventive Wirkung von Obst und Gemüse gibt. Aber die ständig wiederholten Botschaften bleiben hängen. Kaum noch ein Kinderbuch, in dem nicht die Landwirtschaft als Streichelzoo idealisiert wird, und in dem Kinder, damit sie gesund, groß und stark werden, statt zweifelhaftem Fleisch viel Salat essen und Multivitaminsaft trinken müssen. Das Trommelfeuer derartiger Botschaften verfehlt ihr Ziel nicht – auch wenn dadurch die Zahl der essgestörten und untergewichtigen Kinder und Jugendlichen bedrohlich ansteigt.

Großes Herz für Tiere

Sogar unser abendländisches Glaubensgut – institutionalisiert in den Kirchen – scheint geeignet, um gegen den Konsum von Fleisch zu Felde zu ziehen. „Du sollst nicht töten”, heißt es in der Bibel. Schließt das nicht auch das Töten der Mitgeschöpfe ein? Christlich orientierte Gemeinschaften verkünden, dass es ihr großes Anliegen ist, „den Tieren, die Gott uns als Brüder gegeben hat”, beizustehen. Deshalb suchen sie nicht nur nach Alternativen zu Tierversuchen, sondern auch zum „Tierfleischverzehr”. Theologisch betrachtet steht diese Interpretation des 5. Gebotes auf eher wackeligen Beinen. Denn das Alte Testament beschreibt eine Vielzahl von Kriegen, bei denen ganze Völkerschaften mit Gottes Hilfe auf wenig rücksichtsvolle Weise vom Diesseits ins Jenseits befördert wurden. Das Gebot bezieht sich also nicht einmal auf alle Menschen – genau genommen gilt es nur für Glau-bensgenossen. Diese, und nur diese, dürfen nicht getötet werden. Damit ist zwar der Mord innerhalb der eigenen Gemeinde verboten, nicht aber die Schlachtung von Nutzvieh. Tierschützer sehen das oftmals anders. Neben solchen, die sich mit großem Engagement um das Wohl der Tiere verdient gemacht haben, tummeln sich darunter auch einige, die zum Mord an jenen Menschen aufrufen, die nach ihrer Ansicht Tiere quälen. Entgleisungen wie „Sechs Millionen Juden sind in Konzentrationslagern gestorben, aber dieses Jahr werden sechs Milliarden Grillhähnchen in Schlachthäusern sterben”, stammen nicht etwa von verwirrten Geistern, sondern aus den Chefetagen gewisser Tierschutzverbände. Der Salzburger Tierrechtsphilosoph Helmut F. Kaplan wird mit dem Satz zitiert: „Toleranz gegenüber Fleischessern zu fordern, ist ebenso absurd und obszön, wie Toleranz gegenüber Vergewaltigern und Mördern zu fordern.” Diese Philosophie fiel auf fruchtbaren Boden. Sie dient inzwischen manch einem militanten Tierschützer als moralische Rechtfertigung für Terroranschläge auf wissenschaftliche Einrichtungen und ihre Mitarbeiter. Nach Recherchen des Journalisten Michael Miersch wurden nicht nur Laboreinrichtungen angezündet und Briefbomben an missliebige Politiker versandt: In Chemnitz schloss der Metzger Stephan Baumert seine Läden, nachdem militante Tierrechtler zwanzigmal bei ihm randaliert hatten. „Er war nicht der erste, der entnervt aufgab”, so Miersch. 1999 wurde ein Journalist, der es wagte, über die militante Tierschützerszene zu berichten, von einem Kommando der Animal Liberation Front entführt und gefoltert. Erinnern Sie sich an den ermordeten holländischen Politiker Pim Fortuyn? Der mutmaßliche Mörder hatte ein großes Herz für Tiere. Miersch: Seine „Hauptbeschäftigung bestand in den letzten Jahren darin, land-wirtschaftliche Tierhalter mit Klagen zu überziehen. Dafür suchte er in den Betriebsgenehmigungen nach nicht ganz wasserdichten Passagen und zog damit vor Gericht, um die Schließung des jeweiligen Hofes zu erwirken. In den vergangenen acht Jahren hat van der Graaf 2000 Prozesse gegen Landwirte und Genehmigungsbehörden geführt. (…) Vermutlich verhängte van der Graaf am 6. Januar 2002 sein persönliches Todesurteil gegen Pim Fortuyn. Denn an diesem Tag erklärte der schillernde Politiker im Fernsehen: ‚Wählt mich, dann wisst ihr, dass Pelzetragen erlaubt ist. ’ Er kündigte an, das geplante Gesetz gegen Pelztierfarmen nach einem Wahlsieg sofort in den Papierkorb zu befördern.” Wann werden Tierschützer das Thema Schlachtung in den Mittelpunkt ihrer Kampagnen rücken? Aus emotionaler Sicht bietet es sich geradezu an. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich Tieresmisshandlungen nicht nur in Mästereien und Schlachtbetrieben ereignen, sondern auch in vielen engen Wohnungen, in denen zahllose Hunde und Katzen von hingebungsvollen Tierfreunden alles andere als artgerecht gehalten werden. So manch eine „Tierliebe” ist für die umkosten Schützlinge schlimmer als das kurze und von Vorschriften geregelte Leben eines Mastschweins. Aber vielleicht geht es ja beim Tierschutz tatsächlich um mehr als nur um Tiere. Elke Heidenreich, einem Millionenpublikum als Elke Stratmann bekannt, sagte einmal: „Die Qual misshandelter Tiere fällt auf uns. Ein Mensch, der Tiere quält und ausbeutet, kann keinen Frieden finden und keinen geben. Wir sind Teil ein und derselben Welt.” Das ist zweifelsohne ein beherzigenswerter Gedanke. Aber damit ist noch nicht geklärt, ob die Tierschützer die moralisch Guten sind, und jene die bösen Buben, die Tiere mästen, töten und verzehren. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es die Tierhaltung war, die dazu verhalf, den einst weltweit verbreiteten Kannibalismus zu überwinden. Erst die Mast sorgte dafür, dass es wirtschaftlicher war, die Besiegten als Sklaven arbeiten zu lassen und daraus mehr Nutzen zu ziehen als aus ihrem unmittelbaren Verzehr. Überall dort, wo es keine Mast von Nutzvieh gab, war der Verzehr von Menschen die Regel. Insofern ist eine Überproduktion an Fleisch auch ein wenig beachteter Beitrag der Landwirtschaft zum Frieden. Es gibt übrigens keinen Grund, über den Verzehr von Menschen moralisch empört zu sein. Aus Sicht eines Kannibalen ist es erheblich moralischer seine Mitmenschen aus Appetit nach Fett und Eiweiß zu töten, statt sie zu hunderttausenden auf den Schlachtfeldern zu töten und verwesen zu lassen.

Fleisch aus neuen Schläuchen

Die Tötung ist die conditio sine qua non der Fleischgewinnung und zugleich der gravierendste Eingriff in Leben und Wohlbefinden eines Tieres. Sind hier nicht höchste Maßstäbe anzulegen? Was haben Land- und Fleischwirtschaft getan, um sicherzustellen, dass Schlachtvieh so wenig wie möglich leidet? Offengestanden zu wenig. Denn wenn heute noch Tiere lebendigen Leibes ausgenommen werden, und seien es „nur” Hühner, gibt es dafür keine, aber auch keinerlei Entschuldigung. Das ist weder unvermeidbares Versehen noch verständlicher Kostendruck, sondern ein Tatbestand, der die Branche Kopf und Kragen kosten kann. Nicht von heute auf morgen, aber für eine Landwirtschaft, die in Generationen denkt, könnte es bald die letzte Generation sein, die Tiere hält. Schon lange bahnt sich eine ernst zu nehmendeAlternative zur Schlachtung an: die biotechnologische Erzeugung von Fleisch. Damit ist nicht Sojafleisch gemeint oder jene Schimmelpilz-Hamburger, die sich in Großbritannien eines stabilen Marktes erfreuen, sondern Fleisch, das im Fermenter erzeugt wird. Es sind nicht nur „Fleischforscher”, die sich hier einen großen Markt ausrechnen und deren Aktivitäten bereits zu einem ersten Weltpatent für biotechnologisches Fleisch geführt haben. Auch die NASA würde ihre Verpflegung für Raumflüge gerne vor Ort produzieren – ohne große Mengen an Futtermitteln zu transportieren, ohne Fäkalien zu beseitigen und ohne den Astronauten eine Schlachtung zuzumuten. Deshalb unternimmt sie große Anstrengungen, um Fleischfasern im Fermenter gedeihen zu lassen. Daneben ist die Pharmaindustrie sehr daran interessiert, menschliches Gewebe künstlich zu erzeugen. Das „Tissue Engineering” wird die gesamte Medizin revolutionieren. Wenn es aber möglich ist, einen Herzmuskel aus Stammzellen heranwachsen zu lassen, dann ist es eine vergleichsweise einfache Übung, auf diesem Wege einen Schinken zu produzieren. Vielleicht sogar ohne Sehnen und mit mehr Geschmack. Mag sein, dass dies gegenwärtig noch wie Zukunftsmusik klingt. Doch die Gewinnaussichten sind enorm und das technische Handwerkszeug ist vorhanden. Über kurz oder lang wird es biotechnologisches Fleisch geben – ohne Tierquälerei, ohne Schlachtung, ohne Umweltbelastung durch Ammoniak oder Klimagase und das alles zu einem viel günstigeren Preis. Statt einer flächendeckenden Tierhaltung sind dann nur noch ein paar wenige große Fermenter notwendig und eine Handvoll Mitarbeiter, um den Fleischbedarf einer Großstadt zu produzieren. Selbst eine Angstreaktion des Verbrauchers parallel zur Grünen Gentechnik scheint unwahrscheinlich, denn das Hightech-Fleisch wird sich entsprechend den Verbraucherwünschen designen lassen: mit weniger Fett, weniger Cholesterin, weniger Arzneimittelrückständen und einer Extraportion eines Modevitamins. Will die Landwirtschaft diesen Prozess aufhalten, sollte sie versuchen, sich in die ernährungsphysiologische Diskussion einzuklinken, und sich die nötige fachliche Anerkennung zu erarbeiten. Das kostet zwar Zeit und auch wissenschaftliche Unabhängigkeit von den Ideologien und Zeitgeistparolen, wie sie auch von DGE, CMA und anderen aufklärerischen Organisationen verbreitet werden. Aber nur so ist dem schlechten Gewissen bei Tisch entgegenzuwirken. Vollmundige Slogans bewirken eher das Gegenteil, weil man verlorenes Vertrauen weder durch Werbung noch durch „Aufklärung” wiedergewinnen kann. Hat ein Kind nachts Angst vor Gespenstern, bringt es nichts, ihmschlichtweg zu erklären, es gäbe keine Geister. Das Kind hat dann zwei Probleme: Erstens vermutet es weiterhin ein Gespenst unter dem Bett und zweitens fühlt es sich von seinen Eltern nicht ernst genommen. Damit ist es nicht nur verängstigt, sondern zudem verzweifelt. Auch mit Qualitätssicherungsprogrammen ist dem Problem nicht beizukommen. Schließlich hat man demVerbraucher jahrelang „geprüfte Qualität” und „garantiert sichere” Speisen versprochen. Wer nun erklärt, seine alten Werbeversprechen überprüfen zu wollen, macht sich vollends zum öffentlichen Gespött. Durch Kontinuität, Aufrichtigkeit und Augenmaß hingegen lässt sich eine Ernährungskompetenz erarbeiten, die Vertrauen schafft und damit auf lange Sicht die Skandalbereitschaft der Gesellschaft senkt.

Aktive Schritte notwendig

Viele landwirtschaftliche Ernährungsberaterinnen würden sich gerne und selbstbewusst für einen schuldlosen Verzehr von Butter, Eiern und Steaks stark machen, wenn ihre Vorgesetzten in den Kammern –die sich auf die DGE berufen – ihnen die nötigen Informationen zukommen ließen. Stattdessen tragen sie durch die von ihnen geforderte Art der Beratung massiv zur Verunsicherung der Bevölkerung bei und legen damit den Grundstein für die nächsten Skandale. Wer beispielsweise „5 am Tag” propagiert, sorgt nicht etwa nur für zusätzlichen Umsatz bei den deutschen Johannisbeerproduzenten, sondern fördert auch den Import von Südfrüchten vor allem im Winterhalbjahr. Außerdem gibt er damit zu verstehen, dass es besser wäre, auf Fleisch, Butter und Eier zu verzichten. Und davon soll unsere Landwirtschaft profitieren? In dieser Hinsicht ist die Naivität der Agrarstrategen erschütternd. Vertreter der Land- und Fleischwirtschaft müssen auch das Thema Schlachtung vorurteilsfrei diskutieren – und das nicht erst, wenn es nicht mehr anders geht. Neu ist die Idee gewiss nicht. Hat nicht Gotthard Hilse vom Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt, als er bereits 1992 darauf hinwies, dass Berichte über die Schlachtung „in der Regel Schuldgefühle (auslösen),die zu Konsumeinschränkungen führen”? „Es ist wahrscheinlich gar nicht möglich”, so Hilse, „in unsererGesellschaft die Vorbehalte gegenüber dem Schlachtprozess abzubauen. Man kann dafür bei objektiver Betrachtung auch Verständnis haben, weil die Schnittstelle zwischen Leben und Tod jeden mitfühlendenMenschen berührt. Der Weg zur Wurst führt aber unvermeidbar über den Schlachtprozess. (…) Die Schnittstelle zwischen Leben und Tod muss – soweit es nach den modernen Erkenntnissen möglich ist – so stress- und schmerzfrei wie möglich sein. Der Verbraucher muss das Gefühl haben, dass von seiten der Fleischwirtschaft hier alles getan wird, um das Leiden auf ein Mindestmaß zu beschränken.” Sie als Land- und Fleischwirte werden diese Fragestellungen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen diskutieren und schlussendlich auch den Verbraucher mit einbeziehen müssen. Gelingt Ihnen dies nicht, wirddie tierische Produktion über kurz oder lang von ein paar Fermentern zur biotechnologischen Erzeugung von Hamburgerpatties abgelöst.

Literatur

Armstrong GL et al: Trends in infectious disease mortality in the United States during the 20th century. JAMA 1999/281/S.61-66 Biesalski HC: „5 am Tag”-Kampagne: Wissenschaftliche Begründung. DGE-Info 2001/H.7/S.100-101 Eberle, U: Im Atelier der Organ-Designer. GEO Wissen Nr. 30/2002, S. 92-101 Hilse G: Fleischwarenindustrie: Neue Produktions- und Marketingansätze. Fleischwirtschaft 1992/72/S.366-367 Miersch M: Alles für das Tier. Weltwoche 2002/Nr.39 Sample, I: Cosmic cuisine. New Scientist 2002/ March 23./S.23 Sefton MV. Journal of Regenerative Medicine 2002/3/ S.25-28 Van Eelen WF, van Kooten WJ: Industrial production of meat from in vitro cell cultures. Weltpatent WO 99/31223 v. 24.6.1999 Wolfson, W: Raising the steaks. New Scientist 2002/December 21./28./S. 60-63

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Handlungsbedarf: Wissenschaftler weisen MAP in Rindfleisch nach

Derio (aho/lme) Wissenschaftlern von Baskischen Institut für Landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung 'Neiker-Tecnalia' im spanischen Derio ist es gelungen, den Erreger der Paratuberkulose 'Mycobacterium avium paratuberculosis' (MAP) in der Muskulatur von Rindern und Kühen zum Zeitpunkt der Schlachtung nachzuweisen.
Weitere Informationen hier.