Das aktuelle Interview: Bluetongue – was bringt uns das Jahr 2009?

(bft) – Im Mai 2008 ist in Deutschland flächendeckend die Impfkampagne gegen die Blauzungenkrankheit (BT) bei Schafen, Ziegen und Rindern angelaufen. Dabei wurden neu entwickelte Impfstoffe gegen den Serotyp 8 des Virus eingesetzt. Auch in zahlreichen anderen Mitgliedstaaten wurde die Impfung im vergangenen Jahr eingeführt. Der Blickpunkt sprach mit Dr. Carolin Schumacher, Leiterin Veterinary Public Health von Merial, über den aktuellen Stand des Seuchengeschehens, über den Erfolg der zurückliegenden Impfkampagne und über mögliche neue Herausforderungen für 2009.

Blickpunkt: In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 4.843 Fälle
amtlich gemeldet (Stand 12. Dezember 2008, FLI), wobei es sich bei
knapp der Hälfte der Infektionen noch um „Altinfektionen“ aus 2007
handelte. Der neuen BTSaison 2008 wurden rund 2.600 Fälle zugerechnet.
In Frankreich traten in 2008 dagegen mehr als 28.000 Fälle auf (Stand
November 2008). Wie beurteilen Sie den Erfolg der Impfung in
Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten?

Dr. Schumacher: Es ist natürlich ein großartiger Erfolg, dass die Zahl
der Neuinfektionen in Deutschland von mehr als 20.000 Fällen im Jahre
2007 auf unter 3.000 Fälle gesenkt werden konnte. Dies ist sicher ganz
wesentlich auf die zügige und flächendeckende Impfung zurückzuführen.
Die ca. 10-fach höhere Erkrankungsrate in Frankreich hat zum einen mit
einer anderen Impfkonzeption zu tun. Darüber hinaus sollten wir nicht
vergessen, dass die Schaf-, Ziegen- und Rinderbestände in Frankreich
um ein Deutliches größer sind. Der französische
Landwirtschaftsminister hat am 15. Dezember eine landesweite
Impfpflicht eingeführt. Der gesamte Rinder-, Schaf- und Ziegenbestand
wird bis zum April 2009 sowohl gegen BTV8 und BTV1 geimpft. Mit dieser
Maßnahme will man die Ausbreitung der Blauzungenkrankheit in den Griff
bekommen.

Blickpunkt: Im Südwesten und Nordwesten Frankreichs hat sich im
vergangenen Jahr auch BTV1 massiv ausgebreitet. Müssen wir künftig
auch in Deutschland mit neuen Serotypen und mit Mischinfektionen
rechnen?

Dr. Schumacher: Auch wenn in Deutschland der Serotyp 1 noch nicht
aufgetreten ist, heißt es nicht, dass wir es in den nächsten Jahren
ausschließlich mit dem Serotyp 8 zu tun haben werden. Die Fachwelt ist
sicher, dass ein Einschleppungsrisiko auch für andere Serotypen
besteht. Bei der Entwicklung von Blauzungenimpfstoffen müssen wir uns
selbstverständlich darauf einstellen, dass es möglich ist, dass in
einer Region gleichzeitig mehrere Serotypen vorliegen. Wir kennen das
aus Südeuropa, wo wir ja bereits ab 2003 gleichzeitig BTV2 und BTV4
bekämpfen mussten. Hier kamen u.a. inaktivierte, bivalente (Impfstoffe
mit zwei Antigenen) Impfstoffe mit großem Erfolg zum Einsatz. Auf
Grund dieses Erfolges entwickelt man derzeit auch Kombiimpfstoffe für
die Serotypen 1 und 8. Blickpunkt: Die Entwicklungszeiten für neue
Impfstoffe liegen in der Regel zwischen fünf und sieben Jahren. Für
die Blauzungenkrankheit wurden Impfstoffe im Rahmen von
Sonderregelungen in relativ kurzer Zeit zur Verfügung gestellt. Wie
wirksam und sicher sind diese Impfstoffe?

Dr. Schumacher: Alle bisher vorgenommenen kontrollierten
Impfstofftests haben gezeigt, dass die in Europa zum Einsatz kommenden
inaktivierten Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit und eine hohe
Verträglichkeit haben. Dies hat auch der Anfang 2008 in
Mecklenburg-Vorpommern in Zusammenarbeit mit dem Friedrich-
Loeffler-Institut durchgeführte Feldversuch bestätigt. Der
überzeugendste Beweis ist natürlich der millionenfache, erfolgreiche
Einsatz dieser Impfstoffe bei der Bekämpfung der Blauzungenkrankheit
in Europa. Zwischenzeitlich sind die Impfstoffe zur Zulassung
eingereicht.

Blickpunkt:
Was unternimmt die Industrie, um auch zukünftig gut auf
die Bekämpfung neuer Tierseuchen vorbereitet zu sein? Gibt es
Initiativen, die Krankheitsvorsorge und Forschung auf EU-Ebene zu
verbessern?

Dr. Schumacher: Die erfolgreiche Bekämpfung von Tierseuchen setzt
voraus, dass alle Beteiligten – nationale Behörden und die
EU-Kommission sowie die Zulassungsbehörden – eng mit den
Impfstoffherstellern zusammenarbeiten. Wobei wir uns natürlich immer
bewusst sein müssen, dass die Impfung nur eine der möglichen
Bekämpfungsstrategien ist und durch weitere Maßnahmen der
Seuchenbekämpfung ergänzt werden muss. Natürlich sollte man da, wo
geeignete Impfstoffe vorhanden sind, der Impfung einen herausragenden
Platz einräumen. Diesen Ansatz hat ja auch die Europäische Kommission
mit ihrer neuen Tiergesundheitsstrategie „Vorbeugen ist die beste
Medizin“ aufgegriffen. Auch die Einrichtung von Impfstoffbanken für
die verschiedenen Serotypen ist sinnvoll, um zeitnah auf neue
Ausbrüche reagieren zu können. Auch mit der im Jahr 2005 gegründeten
Europäischen Plattform für globale Tiergesundheit (ETPGAH) wurde ein
erster Schritt unternommen, Wissenschaftler von beispielsweise
nationalen Forschungsinstituten, Universitäten und der Industrie an
einen Tisch zu bringen, um so gemeinsam schneller Lösungen für neue
Erkrankungen zu erarbeiten. Die Plattform hat auch dazu beigetragen,
dass im Falle der Blauzungenkrankheit die mit einbezogenen
Zulassungsbehörden, wie die europäische Zulassungsbehörde EMEA,
hochflexibel und unbürokratisch die Entwicklung der Impfstoffe
begleitet und damit eine frühe Risikoeinschätzung ermöglicht haben.