Das aktuelle Interview: Tierarzneimittelzulassung gestern – heute – morgen

(BfT) – Zulassungsanforderungen für Tierarzneimittel und nicht zuletzt die Chancen für Innovationen sind zentrale Punkte in der aktuellen Diskussion zum Review des europäischen Tierarzneimittelrechts. Der Blickpunkt sprach mit Prof. Dr. Heinrich Greife, Bayer Animal Health GmbH und Vorsitzender des Technisch-Wissenschaftlichen Ausschusses des Bundesverbandes für Tiergesundheit, über den Wandel der gesetzlichen Anforderungen an die Entwicklung und Zulassung von Tierarzneimitteln und die erforderlichen zukünftigen Rahmenbedingungen.

Blickpunkt: Herr Prof. Greife, Sie sind für Bayer seit über 25 Jahren in der Forschung, Entwicklung und Zulassung von Tierarzneimitteln tätig. Wie hat sich die Zulassung von Tierarzneimitteln in dieser Zeit entwickelt?

Prof. Greife: Die positive Bewertung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit ist nach wie vor Voraussetzung für die Zulassung eines Tierarzneimittels – in den früheren rein nationalen wie in den komplexen europäischen Verfahren. Immens umfangreicher ist das Dossier und akribischer die Prüfung geworden – bedingt durch steigende technische Standards, aber auch durch das stetige Bemühen Risiken zu minimieren. Die Zulassung muss sich selbstverständlich am aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausrichten, gesellschaftliche Akzeptanz und politische Vorbehalte dürfen deshalb nicht in die Bewertung einfließen.

Blickpunkt: Welche Trends sind beim Zulassungsprocedere zu beobachten?

Prof. Greife: Entwicklungszeiten und -kosten von Tierarzneimitteln sind variabel. Sie sind abhängig von der Zieltierart – dies können Hobbytiere oder Lebensmittel liefernde Tiere sein – von der Produktkategorie und vom Innovationsgrad. Zahlenbeispiele nennt die Benchmarkingstudie des Weltverbandes der Tiergesundheitsindustrie IFAH.
Der steigende technisch-wissenschaftliche Standard erhöht zwangsläufig die Studienzahl, bedingt diffizilere Studien und erfordert eine fachkompetentere Bewertung. Zu einem höheren Entwicklungsaufwand haben aber auch nicht unerheblich steigende behördliche Forderungen zur Risikominimierung beigetragen, die uns im praktizierten Umfang oft nicht gerechtfertigt erscheinen und einer streng wissenschaftlichen Basis entbehren. Dieses gilt nicht nur für die Entwicklung innovativer Tier-arzneimittel, sondern ebenso für Zulassungserweiterungen und den Erhalt bestehender Zulassungen. So entfallen in Europa allein etwa 35 Prozent der Kosten für Forschung und Entwicklung auf den Erhalt der Zulassungen (Maintenance).

Blickpunkt: In welchen Bereichen sind die Anforderungen besonders hoch?

Prof. Greife: Hierzu gehören Reglementierungen, um die Transparenz der klinischen Studien und Herstellungsprozesse zu erhöhen, wie beispielsweise die GCP- und GMP-Anforderungen. Hinzu kommen die strikte Anwendung statistischer Kriterien beim Nachweis der Wirksamkeit sowie die stringentere Sicherheitsbewertung, bei der neben die klassischen Kriterien der Sicherheit für Tier, Anwender und Verbraucher zunehmend die tiefgehende Prüfung der Umweltsicherheit getreten ist. Und schließlich muss eine präventiv betonte, durch Risikominimierung geprägte Nutzen-Risiko-Bewertung, genannt werden.

Blickpunkt: Welche Produktgruppen sind besonders gefährdet und kann bereits ein Rückgang der Entwicklungstätigkeit registriert werden?

Prof. Greife: Das empfundene – und bewertete – Risiko wird bei den Antibiotika zurzeit beherrscht von der Befürchtung der Resistenzübertragung vom Tier auf den Menschen. Kehren wir hier nicht bald zu einer rational wissenschaftlichen Bewertung zurück, werden nicht nur Innovationen mehr als fraglich, sondern es wird auch die absolut notwendige Versorgung der Tiere mit derzeit zugelassenen Antibiotika gefährdet.
Innovationsfeindlich ist auch der hohe Anteil der Erhaltungskosten am Forschungs- und Entwicklungs-Budget. Diese Kosten entstehen durch behördliche Nachforderungen zum Dossier oder durch das weltweite kontinuierliche Monitoring der Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz). Diese Kosten erhöhen vielfach nicht den Sicherheitsstandard lang bewährter Tierarzneimittel, fehlen aber bei Innovationen.

Blickpunkt: Herr Prof. Greife, Sie scheiden Mitte nächsten Jahres aus dem aktiven Berufsleben aus. Welche Empfehlungen geben Sie für die künftigen Rahmenbedingungen?

Prof. Greife: Die Kriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Tierarzneimitteln sicherzustellen, ist sowohl bei der Zulassung als auch der Überwachung unbestritten eine hoheitliche Aufgabe. Die Tierarzneimittelindustrie hat sich der wissenschaftlichen Bewertung dieser Kriterien immer gestellt und fordert sie auch für die Zukunft ein.
Ich habe über mehr als 25 Jahre in der industriellen Forschung und Entwicklung sowie der Verbandsarbeit erlebt, dass verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Handeln das ökonomische Überleben der Firmen im fairen Wettbewerb sichert – wenn Innovationen auch von politischer Seite gewollt sind und die Rahmenbedingungen hierfür stimmen.
Dies scheint die Politik in den letzten Jahren etwas aus dem Auge verloren zu haben. Der Gedanke der Risikominimierung bis zur -vermeidung, die über Gebühr bei Zulassungsverfahren und dem Erhalt von Tierarzneimitteln berücksichtigten „gefühlten“ Ängste erhöhen den Aufwand und blockieren vielfach Innovationen.
Ich hoffe sehr, dass es mit dem Review des europäischen Tierarzneimittelrechts gelingen wird, berechtigte Forderungen nach optimaler Sicherheit von Tierarzneimitteln in Einklang zu bringen mit einem innovationsfreundlichen Umfeld und einer einheitlichen europäischen Zulassung. ■

Erläuterungen:
GCP = Good Clinical Practice
GMP = Good Manufacturing Practice