Das aktuelle Interview: Wie viel Bürokratie ist sinnvoll?
Bonn (Blickpunkt) – Alte Rechnungen aufbewahren, Steuererklärungen ausfüllen, Rinderpässe beantragen oder Betriebsmitteleinsatz dokumentieren – es gibt kaum noch einen Bereich im wirtschaftlichen Leben, der nicht von enormem bürokratischem Aufwand begleitet wird. Die Belastung für Unternehmen und Bürger ist hoch. Deshalb wurde 2006 der Normenkontrollrat ins Leben gerufen mit der Aufgabe, die Bürokratielasten für die Wirtschaft um 25 Prozent bis zum Jahr 2011 zu senken. Der Blickpunkt sprach mit Dr. Martin Schneidereit, Geschäftsführer des BfT (Bundesverband für Tiergesundheit), über Ziel und Maß von Formularen und Statistiken.
Blickpunkt: Wie beurteilt die Tiergesundheitsindustrie die Einrichtung des Normenkontrollrates (NKR) durch die Bundesregierung?
Dr. Schneidereit: Dieser Schritt war längst überfällig. Überzogener Bürokratieaufwand war und ist ein Hemmschuh für positive, wirtschaftliche Entwicklungen. So kann man die Intention der Bundesregierung, insbesondere die mittelständische Wirtschaft von bürokratischen Hemmnissen zu befreien, nur begrüßen.
Schätzungen zufolge schlagen die Bürokratiekosten, die Bund und Europäische Union den Unternehmen aufbürden, mit bis zu 80 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche. Das sind 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von den 100 aufwendigsten Informationspflichten ist auch der Agrarbereich betroffen. So kostet beispielsweise die schlagspezifische Dokumentation des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln knapp 110 Millionen Euro, das Register über den Rinderbestand verursacht einen Aufwand von 34 Millionen Euro.
Blickpunkt: Wo sehen Sie praktischen Handlungsbedarf im Bereich Tiergesundheit?
Dr. Schneidereit: Wenn auf der einen Seite Bürokratie abgebaut werden soll, erscheint es kontraproduktiv, diese in anderen Bereichen neu zu etablieren. Der Entwurf über das Datenbank gestützte Informationssystem über Arzneimittel des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ist dafür ein aktuelles Beispiel. Die Behörden wollen über die DIMDI-Verordnung Informationen über das Arzneimittelgeschehen abfragen, beispielsweise Verkaufsmengen von Antibiotika, die an anderer Stelle längst vorliegen. Es handelt sich also um eine klassische Doppelmeldung, die bei jeder Firma Mehrkosten im fünfstelligen Bereich jährlich verursachen würde. Alle Angaben, die durch die DIMDI-VO abgefragt werden sollen, sind durch die Vorschriften zur Pharmakovigilanz abgedeckt. Diese Daten könnten DIMDI zur weiteren Auswertung zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus hat die Industrie in den vergangenen Jahren Antibiotikamengen eigeninitiativ erfasst und publiziert. Wir setzen uns deshalb für den Verzicht auf das neue Verordnungsvorhaben DIMIDI-VO ein.
Blickpunkt: Nach ersten Planungen sollte ein Teil der Arbeit des NKR bis zum 30. Juni 2007 abgeschlossen sein. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Es war dem Statistischen Bundesamt bis dahin nicht einmal gelungen, die Erfassung der Informationspflichten abzuschließen. Ist Bürokratieabbau in Deutschland vielleicht gar nicht machbar?
Dr. Schneidereit: Ziel war es, bis zum genannten Zeitpunkt die 2.000 Vorschriften herauszufiltern, die bei der Wirtschaft die höchsten Kosten erzeugen. Internationale Erfahrungen haben nämlich gezeigt, dass nur rund 20 Prozent der Regeln etwa 80 Prozent der Belastungen erzeugen. Grund dafür, dass diese Erkenntnisse noch nicht vorliegen, ist die falsch gewählte Erhebungsmethodik. Jetzt bedient man sich eines Modells, das in den Niederlanden bereits erfolgreich umgesetzt wird. Der Abbau der Bürokratiekosten um 25 Prozent bleibt weiterhin eine große Aufgabe, entspricht der Lissabon-Agenda und wird deshalb auch von der Tiergesundheitsindustrie aktiv unterstützt.