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Tierärzte zum Thema „Kampfhunde“

Aus aktuellem Anlass tagten am 29. Juli Tierärzte aus ganz Deutschland zum Thema „Gefährliche Hunde / „Kampfhunde““ in der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

Die 350 Teilnehmer setzten sich insbesondere mit der niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung auseinander, die Anfang Juli in einem Eilverfahren verabschiedet worden war. Sie kritisierten, dass sie ohne tiermedizinischen Sachverstand erlassen worden sei. „Die Verordnung muss von den Politikern überdacht und verändert werden“, fasste Tagungsleiter Prof. Dr. Ingo Nolte von der Tierärztlichen Hochschule zusammen. Die Referenten betrachteten das Thema aus molekulargene- tischer, verhaltensbiologischer und juristischer Sicht; auch der Wesenstest wurde vorgestellt.

Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Prof. Dr. Ottmar Distl vom Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der TiHo ging auf die genetischen Grundlagen von Rassenidentifikation und Verhaltensmerkmalen ein. Mit seiner grundsätzlichen Feststellung, molekulargenetisch könne man die Hunderassen nicht differenzieren, stellte er die in der Verordnung enthaltene Rassenliste in Frage. Es ließe sich bis jetzt auch nicht wissenschaftlich belegen, dass übersteigerte Aggression die Folge langdauernder Selektion auf dieses Verhaltensmerkmal sei.

Wer ist also schuld am bösen Hund, fragte Dr. Barbara Schöning, Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg. Wie wird ein Hund zum gefährlichen Hund? Die Antwort: Wenn ein Hund übermäßig aggressiv sei, liege dies an der mangelnden Sachkunde des Menschen. Erziehung und Haltung des Hundes spielten eine wichtige Rolle. Aggressionsverhalten gehöre zwar zum normalen Verhaltensrepertoire eines jeden Hundes; doch Aggression sei kein Selbstzweck. Sie trete in der Regel in einer bestimmten Situation als angemessene Reaktion auf entsprechende Reize auf. Die Umwelt und Lernprozesse haben entscheidenden Einfluss auf Qualität und Quantität des Aggressionsverhaltens eines Hundes.

Dr. Dorit Feddersen-Petersen vom Institut für Haustierkunde der Christian-Albrechts-Universität Kiel unterstützte diesen Standpunkt mit ihrem Referat „Biologie der Aggression bei Wölfen und Haushunden“. Hunde könnten als domestizierte Wölfe nur im Rahmen ihrer biologischen Grenzen existieren: Sie seien hochsozial, ausgerichtet auf ein Leben in Gruppen, die hierarchisch strukturiert seien und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit böten. Ihre soziale Kommunikation sei darauf ausgerichtet, sowohl einen sozialen Status (Rang) zu erreichen bzw. zu verteidigen als auch Beziehungen, Bindungen mit denselben, bekannten Sozialpartnern zu etablieren. Das Aggressionsverhalten sei ein obligatorisches Regulativ für das Zusammenleben von Hunden und muss vom Menschen erkannt/gekannt und durch Training biologisch korrekt gelenkt werden. Geschieht dieses nicht bzw. wird Angriffsverhalten einseitig gefördert (Zucht, Ausbildung), resultieren Verhaltensstörungen, die ein erhöhtes Gefahrenpotential mit sich bringen.

Dr. Maria Dayen vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beschäftigte sich mit der „Juristischen Bewertung des „gefährlichen“ Hundes“ und erklärte die Erwägungen, die zur Niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung führten. Sie bezog sich dabei auf das Tierschutzgesetz und das Gefahrenabwehrrecht. Die (auch) auf den „gefährlichen“ Hund anwendbaren Tierschutzvorschriften, wie das Verbot der Aggressionsdressur und -zucht, hätten daher auch vornehmlich zum Ziel, das Entstehen „gefährlicher“ Hunde zu verhindern, um sie nicht Haltungsbedingungen unterwerfen zu müssen, die aus Sicherheitsgründen sehr starken Einschränkungen unterliegen. Das Gefahrenabwehrrecht habe dagegen überwiegend den Schutz des Menschen zum Ziel und berechtige die Verwaltungs- und Polizeibehörden hierzu Maßnahmen zu ergreifen, die auch bis zur Einschränkung der Grundrechte gehen könnten. Die Maßnahmen sollen neben einem abwehrenden, zurückdrängenden Charakter auch präventiv wirken. Aufgrund dieser Erwägungen enthalte die Niedersächsische Gefahrtier-Verordnung, die am 08.07.2000 in Kraft getreten ist, ein Haltungs-, Zucht- und Vermehrungsverbot für Hunde der Rassen Bull- terrier und American Staffordshire Terrier, Hunden des Typs Pit Bull Terrier sowie Kreuzungen mit Hunden dieser Rassen bzw. dieses Typs, und Vorgaben, unter denen die Haltung dieser Hunde ausnahmsweise erlaubt werden kann. Weitere Hunderassen, die in der Anlage 1 aufgezählt sind, werden mit einem Maulkorb- und Leinenzwang belegt, der ebenfalls unter vorgegebenen Bedingungen aufgehoben werden kann.

Dr. Heinrich Bottermann vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Umwelt, Raumforschung und Landwirtschaft stellte fest, dass in den Ländern heterogene Verordnungen, die durch unterschiedliche Intentionen bedingt seien, erlassen würden. Eine bundesrechtliche Regelungs- kompetenz fehle; Rechtslücken auf Bundesebene müssten geschlossen werden; die Länder müssten ihre Regelungsansätze harmonisieren.

Dr. Christiane Mehl und Dr. Bernd Wichern, Gewerbe- und Veterinärabteilung der Stadt Hannover, schilderten die Erfahrungen der veterinärmedizinischen Überwachungsbehörde mit gefährlichen Hunden. Sie stellten das soziale Umfeld und die verschiedenen Berufsgruppen unter den Antragstellern für eine Ausnahmegenehmigung für gefährliche Hunde nach der Gefahrtierverordnung vor. So sind 60 Prozent der Halter unter 30 Jahre alt, 23,2 Prozent Arbeiter und 20,5 Prozent einfache Angestellte.

Einer der Höhepunkte der Tagung war sicherlich der Vortrag der Tierärztin Esther Schalke vom Tierschutzzentrum der Tierärztlichen Hochschule Hannover, die zum ersten Mal den Wesenstest für Kampfhunde öffentlich vorstellte. Sie erläuterte die Bestandteile des Wesenstests und nach welchen Kriterien der Tierarzt Aggressivität beurteilen kann. Getestet wird das Ausdrucks- und Kommunikationsverhalten des Hundes in alltäglichen Situationen. Zum Beispiel: Der Hundebesitzer fordert den Hund zum Spielen auf; eine Person geht vorbei und starrt den Hund an. Verschiedene andere Personen gehen vorbei: mit langem Mantel, mit Stock (Blinder), ein Betrunkener, mit Angstschweiß. Menschen berühren den Hund zufällig. Außerdem wird der Kontakt mit Artgenossen untersucht. Wie der Hund auf Kinder reagiert, ist allerdings aus ethischen Gründen nicht testbar. Das Verhalten wird mit einem Punktesystem bewertet. Außerdem verfasst der testende „fachkundige Tierarzt“ ein Gutachten. Der Wesenstest ist die Basis, auf der die zuständige Behörde entscheidet, wie mit dem „gefährlichen Hund“ weiterzuverfahren ist.

Dr. Heike Pankatz vom Deutschen Tierschutzbund bezog zu den verschiedenen Verordnungen der Bundesländer Stellung. Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert, dass den verschiedenen Landeshundeverordnungen keine einheitliche Regelung zugrunde liege. Es herrsche ein regelrechtes Verordnungschaos, Hundehalter seien sehr verunsichert. Den Verordnungsgebern wirft der Tierschutzbund eine übereilte Vorgehensweise vor; Tierschutzorganisationen und Sachverständige seien bei der Ausarbeitung der Verordnungstexte nicht gefragt worden. Der Deutsche Tierschutzbund fordere erneut eine bundeseinheitliche Regelung in Form eines Heimtiergesetzes, um die bestehenden Gesetzeslücken hinsichtlich Zucht, Handel, Haltung und Ausbildung von Tieren und hier speziell Hunden zu schließen.

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Ingo Nolte, Klinik für Kleine Haustiere an der Tierärztlichen Hochschule Hannover; Tel.: 0511/856-7251 oder an die Pressestelle der Tierärztliche Hochschule Hannover Tel.: 0511/953-8002

Informationsdienst Wissenschaft (idw) – Pressemitteilung Tierärztliche Hochschule Hannover, 01.08.2000

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