Das aktuelle aho-Interview: Beim Thema Ebermast spielt die Branche Mikado!
(aho) – Die deutsche Schweineproduktion und Fleischwirtschaft steuern unausweichlich auf einen Ausstieg aus der chirurgischen Ferkelkastration im Jahr 2019 zu. Länder wie Belgien, Dänemark und die Niederlande haben frühere Termine verlauten lassen. Aho geht in einem Gespräch mit dem Lebensmitteltechnologen und Fleischermeister Thomas Pröller der Frage nach, ob auf Seiten des fleischverarbeitenden Gewerbes bereits alle Hausaufgaben gemacht wurden.
aho: Europa ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Wirtschaftsraum mit einem recht problemlosen Handel mit Lebensmitteln, Konsum- und Industriegütern zusammengewachsen. Wie einheitlich ist Europa im Bezug auf Ebermast und -fleisch.
Thomas Pröller: Tatsächlich ist Europa in dieser Hinsicht leider ein Flickenteppich. Allein der Vergleich Belgien-Deutschland verdeutlicht die Misere. Während es in Belgien den Schweinemästern von allen großen Supermarktketten freigestellt wurde, intakte Eber zu mästen oder diese zusätzlich mit Improvac einer Immunokastration zu unterziehen, wird in Deutschland auf Tagungen heftigst gerungen. Kürzlich forderte gar ein Akteur der deutschen Schlachtbranche, man solle insbesondere in Süddeutschland die Ferkel weiter mit neu zu entwickelnden Schmerzmitteln aus der Gruppe der Opiate kastrieren. Die kleinen süddeutschen Strukturen vertrügen keine Ebermast.
aho: Laut Fachliteratur verströmen bis zu 30% der geschlachteten Eber unangenehmen Geschlechtsgeruch. Wie soll die Branche damit umgehen?
Thomas Pröller: Geschlechtsgeruch ist für den qualitätsorientierten Verarbeiter und Metzger ein absolutes „no go“. Ich habe gar nicht mal so große Angst davor, dass da gelegentlich ein übler Stinker nicht als K3-Material entsorgt wird und mit in die Verarbeitung rutscht. Ich habe eher die Befürchtung, dass es dem Konsumenten einfach nicht mehr schmeckt, wenn müffelnde Schlachtkörper verarbeitet werden. Die meisten Esser wissen nicht, was Ebergeruch ist. Sie waren durch die Kastration vor diesem Erlebnis weitestgehend geschützt. Riechendes Eberfleisch (Stinkefleisch) würde wohl als verdorben bezeichnet.
Stinkefleisch ist zudem K3-Material. Über K3-Material ist kürzlich der Schlachthof Coburg gefallen. Der LEH kann sich keinen „Stinkefleischskandal“ leisten. Einmal in den Medien würden viele Konsumenten auch bei einwandfreiem Fleisch „Geschlechtsgeruch“ schmecken. Schließlich und endlich ginge das zu Lasten der Landwirte.
1999 wurde in den Benelux-Ländern in den Medien über eine „Cola-Vergiftung“ bei Schülern berichtet. Daraufhin klagten Jugendliche aus allen Landesteilen über Unwohlsein nach dem Verzehr des Erfrischungsgetränks. Coca-Cola-Produkte wurden aus den Regalen genommen; 80 Millionen Flaschen und Dosen wurden vernichtet. Die Coca-Cola-Aktie fiel an der New Yorker Börse.
Ein ganz ungutes Gefühl habe ich beim Thema Eberverhalten in der Endmast. Schon jetzt finden sich im Internet Videos, die das ebertypische Verhalten wie Aufreiten und Rangordnungskämpfe zeigen. Das Phänomen Penisbeißen liefert absolut „blutige“ Bilder, die medial hochwirksam sind.
aho: Riechendes Eberfleisch ließe sich in kräftig gewürzten Würsten und Pasteten verarbeiten. Wäre das Problem dann gelöst?
Thomas Pröller: Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Ein Maskieren des Stinkefleischs scheint nur bei großer Verdünnung möglich und wird selbst da von empfindlichen Menschen herausgeschmeckt. Jüngere Untersuchungen zeigen, dass auch Rohwürste und Rohschinken mit geruchsabweichendem Fleisch von sensiblen Menschen herausgeschmeckt werden. Damit ist auch dieser Weg der Verarbeitung versperrt.
Wertvolle Teilstücke zu verwursten ist betriebswirtschaftlicher Unsinn. Das können sich vielleicht kapitalkräftige Fleischriesen mit einer großen Wurstabteilung leisten. Die setzen auf den Verdünnungseffekt. Der Handwerksbetrieb oder mittelständische Fleischwarenhersteller kann das nicht. Hier bürgt der Name immer noch für die gewohnte Qualität. Diese Unternehmen setzen immer noch mit ihren handwerklich gefertigten Produkten die Qualitätsstandards für die gesamte Branche. Und hier sehe ich auch die Chance, sich von Massenware zu unterscheiden.
Dazu gilt natürlich, dass K3-Material allein aus lebensmittelrechtlichen Gründen nichts in Wurst verloren hat.
aho: Unkastrierte sexuell aktive Eber produzieren völlig natürlich das Hormon Nandrolon. Kann das zum Problem werden.
Thomas Pröller: Nandrolon ist durch allerlei Doping-Skandale im Sport berühmt und berüchtigt. Eine Reihe von Sportlern waren in Urinproben Nandrolon-positiv, nachdem sie Fleischwaren aus Eberfleisch verzehrt hatten. Es ist nicht auszudenken, wenn Verbraucherschützer Nandrolon im Urin von Kindern finden, nachdem sie Eber-Leberwurst verzehrt hatten. In dem entstehenden Skandal wird nicht mehr zwischen Industrieware und handwerklich gefertigten Produkten zu unterscheiden sein.
In Belgien und in vielen Ländern dieser Erde umgeht man das Problem ganz elegant, in dem man die Eber mit Improvac impft. Das unterdrückt die Nandrolon-Synthese in den Hoden. Kommt demnächst belgische Leberwurst mit dem Qualitätslabel „ohne Nandrolon“?
aho: Was ist wären die nächsten Schritte?
Thomas Pröller: Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Branche Mikado spielt: „Wer sich zuerst bewegt hat verloren“. Unsere europäischen Nachbarn haben ein sehr enges Zeitfenster aufgemacht. Das Fleischerhandwerk und die mittelständischen fleischverarbeitenden Unternehmen müssen sich jetzt positionieren und deutlich ihre Meinung öffentlich machen. Dabei können deutliche Aussagen und ein klares Bekenntnis zu traditionellem qualitätsorientierten Handwerk neue Käuferschichten binden.
aho: Vielen Dank für das Gespräch!
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