Das Guillain-Barré-Syndrom: Querschnittsgelähmt durch Campylobacter jejuni?
von Dr. Manfred Stein
Die Gesellschaft für Neuropädiatrie beschreibt das „Guillain-Barré-Syndrom“ als „akute, meist postinfektiös auftretende Polyneuritis mit multifokaler Demyelinisierung im peripheren Nervensystem“. Nach dem fast völligen Verschwinden der Poliomyelitis („Kinderlähmung“) ist das Guillain-Barré- Syndrom (GBS) in Europa und Nordamerika die häufigste Ursache für akute generalisierte Lähmungen beim Menschen.
Dieses bisher wenig bekannte Syndrom trifft weltweit mit einer Inzidenz von 1 – 2 pro 100.000 Einwohner (6) und Jahr aller Altersgruppen mit einem Erkrankungsgipfel im frühen Erwachsenenalter und vor allem beim älteren Erwachsenen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Zwei Drittel aller Patienten berichten über eine 1 bis 3 Wochen zurückliegende Atemwegs – oder Magen-Darm-Infektion. Der am häufigsten nachgewiesene Erreger ist Campylobacter jejuni (C. jejuni). Eine zuvor durchgemachte Infektion mit C. jejuni geht mit einem schwereren Verlauf und einer ungünstigen Prognose des GBS einher (17).
Ein Guillain-Barré-Syndrom kann sich auch nach Infektionen durch Coxsackie B-, Cytomegalie-, Epstein-Barr-, Hanta-, HI-, Masern-, Mumps-, Röteln- oder Varizella-Zoster-Viren, ferner nach bakteriellen Infektionen durch Borrelia burgdorferi, Campylobacter coli, Coxiella burnetii, Haemophilus influenzae, Mycoplasma pneumoniae oder Rickettsia conori und schließlich als Folge einer Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B, Influenza, Masern, Mumps, Röteln oder Tollwut entwickeln (52). Den vorausgegangenen Infektionen und Impfungen wird eine „Auslöserfunktion“ im immunpathogenetischen Prozeß des GBS zugeschrieben.
Ätiologie und Pathogenese
Die Ursache dieses häufig lebensbedrohlichen Leidens ist letztlich nicht völlig geklärt, es handelt sich aber um eine immunologisch bedingte entzündliche Erkrankung der peripheren Nerven und Nervenwurzeln, die ablaufenden immunologischen Vorgänge sind komplex (1 – 3). Pathohistiologisch ist eine Infiltration von Lymphozyten und Makrophagen, die sich in unterschiedlicher Verteilung im Bereich der peripheren Nerven und vor allem der Nervenwurzeln finden, charakteristisch (13). Damit verbunden ist eine Demyelinisierung der Nerven (15, 16). Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen dem Guillain-Barré Syndrome und C. jejuni unterstützen die Hypothese einer fehlgeleiteten Immunantwort nach vorausgegangenen Infektionen oder einer anderen Aktivierung des Immussystems (8) Es wird diskutiert, daß die initiale Immunreaktion gegen z.B. C. jejuni schließlich im Rahmen einer Kreuzreaktion gegen Markscheiden-Antigene gerichtet sein könnte und so zu einer Autoimmunreaktion gegen periphere Nerven führt, da bestimmte Myelinbestandteile peripherer Nerven und Oberflächenantigene von C. jejuni gleiche Strukturen aufweisen (5).
Klinik
Das klinische Erscheinungsbild war bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts bekannt (16). Das Syndrom ist nach den französischen Neurologen G. Guillain und J. A. Barré benannt, die im Jahre 1916 zusammen mit R. Strohl den klinischen Verlauf und die liquor-biochemischen Befunde beschrieben (9).
Das Krankheitsbild beginnt unvermittelt mit symmetrischen Muskellähmungen mit abgeschwächten oder erloschenen Muskeleigenreflexen an Armen und Beinen. Die Patienten beschreiben es als „Schwäche“ in den unteren Extremitäten und im Beckengürtel, vor allem beim Aufstehen aus sitzender Position und beim Treppensteigen. Diese „Schwäche“ breitet sich kontinuierlich über den ganzen Körper aus.
Die Muskeldehnungsreflexe sind gewöhnlich von Beginn an abgeschwächt oder erloschen, selten treten auch Sensibilitätsstörungen auf. Die Brust- bzw. Atemmuskulatur kann im Verlauf „übersprungen“ werden, und es können schon früh Hirnnerven betroffen sein. Es zeigen sich insbesondere Fazialis-, Schlund- und Augenmuskelparesen. Werden die Hirnnerven primär befallen, spricht man vom „Miller-Fischer-Syndrom“(7). In etwa einem Drittel der Fälle klagen die Patienten über mehr oder weniger ausgeprägte Myalgien und radikuläre Schmerzen, die mit der Entwicklung der Lähmungen einhergehen. Nicht selten gehen den Lähmungserscheinungen Rückenschmerzen voraus.
In den meisten Fällen geben die Patienten „Kribbeln“ und ein Taubheitsgefühl zunächst an den Händen und Füßen an, das sich dann strumpf- beziehungsweise handschuhförmig zum Körper hin ausbreitet. Durch Störung der Tiefensensibilität kann es zu einer ausgeprägten Gang- und Standataxie kommen. Fast regelmäßig ist auch das vegetative Nervensystem mit orthostatischer Hypotonie und Störungen der Schweißproduktion betroffen. Gefährlich ist das Auftreten von Herzrhythmusstörungen und Ãœberleitungsstörungen. Bei 50 – 90% der Patienten kommt es zu einer kompletten Querschnittslähmung unter Beteiligung der Atemmuskulatur und zu Atemschwäche (14), etwa 20 – 30 der Betroffenen müssen deshalb wegen der Beteiligung des Zwerchfells, der Atemhilfsmuskulatur und kaudaler Hirnnerven vorübergehend künstlich beatmet werden (12, 14).
Die Erkrankung kann außerordentlich rasch ablaufen, meist jedoch verstreichen 3 – 4 Wochen bis zum Maximum der Erscheinungen und nach einer unterschiedlich langen Plateauphase erfolgt spontan die komplette Rückbildung. In etwa 70% der Fälle geschiet dies innerhalb eines Jahres. Das Ausmaß der Rückbildung hängt in erster Linie von dem Schweregrad der Nervenschädigung mit entsprechenden Muskelatrophien ab. Als ungünstige prognostische Faktoren sind höheres Lebensalter, rascher und schwerer Beginn sowie die Notwendigkeit zur künstlichen Beatmung zu werten (6).
Allgemein wird die Prognose als gut bezeichnet. Trotzdem kommt es nur bei etwa 15 % der GBS – Patienten zu einer vollständigen Rückbildung der Symptome. Etwa zwei Drittel der Patienten behalten leichte neurologische Defizite, wie Fußheberschwäche oder distale Empfindungsstörungen, die im Alltag kaum als Behinderung wahrgenommen werden. Funktionell beeinträchtigende Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen bleiben bei etwa 10 bis 15 % der Patienten bestehen (8). Als entscheidende Faktoren haben sich im Hinblick auf das Gesamttherapieresultat und die Senkung der Mortalitätsrate intensivmedizinische Präventiv- und Behandlungsmaßnahmen erwiesen.
Die spezifische Therapie mit Plasmaaustausch oder hochdosierten intravenösen Immunglobulinen gründet sich auf die immunologisch – entzündliche Pathogenese der Erkrankung. Beim Plasmaaustausch werden durch Zellseparation oder Membranfiltration humorale Faktoren, wie Antikörper, Komplement- und Entzündungsmediatoren, die den immunpathogenetischen Prozeß beim GBS unterhalten, weitgehend aus dem Blutplasma entfernt. Nach Einführung der intensivmedizinischen Therapiemaßnahmen sterben noch etwa 2 bis 6 % an Infektionen, Thrombosen und Herz – Kreislauf – Komplikationen. (9 – 11, 15).
Selten aber teuer
Das Guillain-Barré-Syndrom ist rein statistisch gesehen relativ selten. Auf der anderen Seite ist es für die Betroffenen langwierig und extrem belastend. Etwa 6 % aller Patienten sterben. Die Behandlung ist aufwendig und verursacht im Gesundheitssystem hohe Kosten.
In den USA werden sie in einem Bereich zwischen 57 und 425 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Addiert man hierzu noch den Arbeitsausfall bzw. die geringere Produktivität, so erhöht sich der Betrag auf 247 Millionen bis 1,8 Milliarden Dollar (50, 51). Campylobacterinfektionen verursachen in den USA jedes Jahr Kosten in Höhe von 1,5 – 8 Milliarden Dollar (51). Ähnliche Beträge dürften für die EU anzusetzen sein.
Campylobacter beim Menschen
In der Öffentlichkeit sind Bakterien der Gattung Campylobacter bislang kaum bekannt. Gründe dafür liegen einmal im Meldesystem nach dem Bundesseuchengesetz, das eine erregerspezifische Erfassung innerhalb der Meldekategorie „Ãœbrige Formen der Enteritis infectiosa“ nicht vorgibt, sowie in der nicht einfachen bakteriologischen Diagnostik. Dabei sind die verschiedenen Campylobacterspezies in der Bundesrepublik Deutschland nach den Salmonellen die bedeutendsten Erreger bakteriell bedingter und durch Lebensmittel ausgelöster Durchfallerkrankungen. Ein Teil der Infektionen wird als „Reisediarrhoe“ in südlichen Ländern erworben. Eine Umfrage ergab, daß 18% von 850.000 befragten Touristen während ihrer Reise an einer „Magen-Darm-Infektion“ litten (41).
In 1996 wurden allein aus den fünf Neuen Bundesländern sowie Berlin und dem Saarland rund 10.000 Campylobacteriosen gemeldet, zumeist verursacht durch die Spezies C. jejuni (4). Die Zahl der Salmonellosen lag, zum Vergleich, knapp über 32.000.
Die Einschätzung wird durch die Ergebnisse einer vergleichenden epidemiologischen Studie bestätigt, die im Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, BgVV, Bereich Wernigerode, für Niedersachsen durchgeführt wurde. Während andere europäische und außereuropäische Länder, wie z.B. Frankreich oder Lateinamerika eine vergleichbare Situation aufweisen, rangieren die lebensmittelbedingten Campylobacterinfektionen u.a. in Großbritannien, den Niederlanden und Kanada zahlenmäßig sogar vor den Salmonellosen. Der Trend der letzten drei Jahre zeigt einen deutlichen Anstieg der Campylobacteriosen in der Bundesrepublik auf fast das Doppelte. Dieser Anstieg ist allerdings teilweise auf eine intensivere Erfassung und verbesserte Diagnostik zurückzuführen.
Campylobacterspezies sind gramnegative, nicht sporenbildende, mikroaerophile, wellenförmige Stäbchenbakterien mit Hakenform. Campylobacter (C.) fetus Subspecies fetus bzw. intestinalis u. C. jejuni gelten als Erreger fieberhafter Enteritis beim Menschen. Klinik: Nach einer Inkubationszeit von 2 – 5 Tagen zeigen sich Bauchschmerzen, ein „verdorbener Magen“, Diarrhoe, häufig schleimig oder mit Blut vermischt und von Fieber begleitet. Die Dauer beträgt etwa eine Woche. Das klinische Bild der Campylobacteriose entspricht im wesentlichen dem der Salmonellose, häufig wird zunächst auch eine Appendizitis diagnostiziert. Gelegentlich erinnert das Krankheitsbild an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa (49).
Antibiotika sind selten erforderlich (Erythromycin, Ciprofloxacin). Campylobacterspezies bei Mensch und Tier sind häufig gegen ein oder mehrere Antibiotika resistent (24, 32, 35, 53). Ohne Therapie scheiden die Patienten den Erreger etwa drei Wochen aus, es sind keine chronischen Träger bekannt. In ca. 1 % der Fälle entwickelt sich ein bis zwei Wochen nach Beginn der Krankheit eine reaktive Arthritis (20). Kleinkinder können an Meningitis und Endocarditis erkranken. Der Erregernnachweis erfolgt aus dem Stuhl, aus der Blutkultur bei Sepsis. Meldepflichtig sind nach dem Bundes-Seuchengesetz §3(1) beim Gesundheitsamt Verdacht, Erkrankung und Tod. Das Gesundheitsamt überwacht den Patienten, bis drei negative Kulturen im Abstand von wenigstens 48 Stunden gefunden wurden. Ein Antikörpernachweis ist nur bei Arthritiden aussagekräftig. Er ist nicht zum Ausschluß einer Campylobacterinfektion geeignet. Methode: KBR spezifisch für C. jejuni/coli. Es ist ein zweites Serum zum Nachweis eines Titeranstiegs nach 10 – 14 Tagen erforderlich. Es erfolgt gewöhnlich ein Titeranstieg 1 – 3 Wochen nach Krankheitsbeginn.
Etwa 80 – 95 % der Campylobacteriosen werden durch C. jejuni, seltener durch C. coli und ander Campylobacterspezies verursacht (21). Die Erreger werden nach heutigem Kenntnisstand überwiegend über kontaminierte Lebensmittel übertragen. Die Einnahme von Sekretionshemmern (Protonenpumpenhemmer, Omeprazol) kann das Risiko einer Infektion um den Faktor 10 erhöhen (19).
Risiko Geflügelfleisch
Untersuchung im Jahre 1996 wurde C. jejuni aus 10,9 % von 485 Lebensmittelproben aus dem Einzelhandel gefunden. Im Einzelnen waren 60% der Truthahnleberproben und jede zweite Geflügelfleischprobe kontaminiert. Fünf von 170 der beprobten Milchprodukte waren C. jejuni – positiv. Hierzu zählten je eine Probe von Butter, Sahne und Rohmilch. Nur aus einer von 121 Fleischproben, einem rohen Hamburger, konnte C. jejuni isoliert werden (30). In Deutschland sind in erster Linie kontaminiertes Geflügelfleisch und – innereien vor allem bei sporadisch auftretenden Einzel- und Familienerkrankungen die Hauptinfektionsquelle des Menschen. Im Sommer werden in rohen Geflügelprodukten häufiger C. jejuni gefunden (27).
Rohmilch mit Risiko
Die Arbeitsgruppe „Epidemiologie von Lebensmittelinfektionen, Wernigerode“ des BgVV hat 17 dem BgVV zwischen 1991 und 1997 bekannt gewordene Ausbrüche durch C. jejuniin der Bundesrepublik mit über 940 Erkrankten untersucht (Tab. 1). Nur bei zwei Ausbrüchen ließ sich die Infektionsquelle nicht ermitteln. Rohmilch erwies sich in 11 Ausbrüchen mit annähernd 800 Erkrankten in 6 Ländern als die häufigste Infektionsursache. In drei der 11 rohmilchassoziierten Ausbrüche handelte es sich um Vorzugsmilch, deren Verzehr vorwiegend zu familiären Häufungen von Campylobacterinfektionen führte.
Der Rohmilchverzehr erfolgte einmal im Haushalt, häufig auch anläßlich von Ausflügen und Schulexkursionen auf Bauernhöfe, in denen Rohmilch abgegeben wurde. Bei drei der näher untersuchten milchassoziierten Ausbrüche war Rohmilch dagegen in Gemeinschaftsküchen offenbar unzureichend erhitzt und zur Zubereitung von Speisen (Herstellung von Pudding bzw. Zugabe zu Kartoffelbrei, Quarkspeise und anderen Desserts) verwendet worden (s. Tab. 1). Zwei Ausbrüche in der Gemeinschaftsverpflegung standen im Zusammenhang mit der Zubereitung von Geflügel, bei einem Ausbruch hatten alle Erkrankten anläßlich eines Schlachtfestes frisches Hackfleisch verzehrt.
In einem weiteren Fall hatten spielende Kinder Oberflächenwasser getrunken. Kontaminiertes Oberflächenwasser (Bäche, Badeseen) muß als Infektionsquelle (4) für Mensch und Tier (24, 47) ernst genommen werden. In Käranlagen und aus Abwässern von Schlachtbetrieben lassen sich neben einer Vielzahl anderer Keime auch häufig C. jejuni nachweisen ( 28, 34).
Tabelle 1: Ausbrüche lebensmittelbedingter Campylobacteriosen 1991 – 1997 (42)
Ort | Jahr | Erkrankte | verursachendes Lebensmittel |
Ort der Nahrungsmaßnahme |
Art des Verzehrs / der Zubereitung |
Halle | 1991 | 82 | Geflügelzubereitung | Kindertagesstätte | Kreuzkontamination mit anderen Lebensmitteln |
Kassel | 1992 | 25 | Vorzugsmilch | Behindertenkinderheim | Direktverzehr |
Löbau | 1994 | 289 | Rohmilch | Kindergärten u. Schulen | Zusatz zu Quarkspeise u. Kartoffelbrei (nach Erhitzung) |
Flensburg | 1995 | 91 | Rohmilch | Freizeitheim | Direktverzehr |
Borna | 1996 | 13 | Rohmilch | Bauernhof (Schulausflug) | Direktverzehr |
Kiel | 1996 | 14 | unbekannt | Haushalt | unbekannt |
Kleinsassen | 1996 | ³ 114 | Rohmilch | Bauernhof (Schulausflug) | Direktverzehr und zur Puddingherstellung |
Rheinisch Bergischer Kreis | 1996 | 14 | Rohmilch | Bauernhof (Schulausflug) | Direktverzehr |
Osnabrück | 1996 | 19 | Vorzugsmilch | Bauernhof (Schulausflug) | Direktverzehr |
Löbau/Zittau | 1996 | 19 | Geflügelzubereitung | Kindergärten u. Schulen | Mittagsmahlzeit |
Kiel | 1996 | 29 | unbekannt | Haushalt | unbekannt |
Märkisch Oberland | 1996 | 6 | Oberflächenwasser | Spielen im Freien | Direktverzehr |
Zerbst | 1997 | 186 | Rohmilch | Kindergarten | abgekocht als Zusatz zur Quarkspeise (nach Erhitzung) |
Nordhorn | 1997 | 18 | Vorzugsmilch | Haushalt | Direktverzehr |
Ennepe-Ruhr Kreis | 1997 | 5 | Rohmilch | Urlaubsort | Direktverzehr |
Lübeck | 1997 | ³ 3 | Rohmilch | Schulfest | Direktverzehr |
Hettstedt | 1997 | 35 | Hackfleisch | Betriebsfeier | Direktverzehr |
Rohmilch wird immer wieder als Quelle für Campylobacter und eine Vielzahl anderer pathogener Keime identifiziert (4, 31, 40). Aus diesem Grunde wurde 1997 in Deutschland die Milchverordnung geändert.
Danach ist ab dem 01.01.1998 die Abgabe roher Milch, einschließlich Vorzugsmilch, in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung wie Altenheimen, Krankenhäusern, Kantinen, Kindergärten und Schulen nicht mehr erlaubt.
Als Keimreservoir gelten verschiedene Nutz -, Heim – und Wildtiere, wo Campylobacterspezies als normale Besiedler des Darmes ohne Krankheitswert vorkommen. Im Vordergrund stehen hier wildlebende Vögel (48) wie Möwen, Stadt – Tauben, Wassergeflügel und Saatkrähen und verschiedene Nutzgeflügelarten (26, 27, 29). So konnten in 26,5 % von Taubenkotproben in Venedig C. jejuni nachgewiesen werden (38).
Wildvögel werden für die Kontamination von Oberflächengewässern und die Ausläufe von Nutzgeflügelarten verantwortlich gemacht. Daneben findet man Campylobacter auch beim Rind (22, 25) und Schwein (37), wobei beim Schwein Campylobacter jejuni sehr selten nachgewiesen wird (37). Aber auch Haustiere wie Hunde (23, 33) und Katzen (23), können von Campylobakterkeimen besiedelt werden.
Hygiene und Management
Offensichtlich hängt die Verbreitung von Campylobacter vom Haltungssystem und dem Hygienestatus eines Geflügelbetriebes ab (44 – 47). Auf Betrieben mit schlechtem Management und schlechter Hygiene werden vergleichsweise häufiger Campylobacter gefunden (44, 46). So konnte in einer Untersuchung Campylobacter bei 66,7 % von „freilaufenden Hühnern“, bei 29,4 % von konventionellen „Batteriehühnern“ und nur bei 7,3 % von „SPF – Hennen“ isoliert werden (43).
Geringe Dosis
Im Gegensatz zu den meisten anderen Bakterien vermehren sich die wärmeliebenden Campylobacterspezies in der Regel nicht im Lebensmittel. Dennoch wird häufig durch die unvollständige Erhitzung kontaminierter Produkte oder durch sogenannte Kreuzkontaminationen bei der küchentechnischen Zubereitung die erforderliche Infektionsdosis erreicht. Es genügt schon eine vergleichsweise geringe Zahl von etwa 500 Keimen.
Zum Vergleich: Für eine Salmonelleninfektion sind 100.000 bis 10 Mio. Keime notwendig.
Herausforderung
Das Problem Campylobacter ist insbesondere für die Tierärzte, die in der Praxis, in der Schlachttier – und Fleischuntersuchung, in der verarbeitenden Industrie und bei der amtlichen Lebensmittelüberwachung beschäftigt sind, eine große Herausforderung. Der Eintrag von Campylobacter in die Nahrungskette kann durch Hygiene und Management reduziert werden.
Dem Verbraucher müssen wieder verstärkt grundlegende Kenntnisse über häusliche Hygiene vermittelt werden. Hauptursachen für lebensmittelbedingte Erkrankungen im häuslichen Bereich sind nach wie vor mangelnde Kühlung bei der Aufbewahrung frischer und zubereiteter Speisen, unzureichende Erhitzung um potentielle Erreger abzutöten, Kreuzkontamination und unzulängliche persönliche Hygiene. Dies ist insbesondere bei Reisen in Länder mit niedrigerem Standard zu beachten, denn die Zahl der Touristen hat sich in den letzten 15 Jahren weltweit verdoppelt. Jedes Jahr überqueren 500 Millionen Menschen per Flugzeug ihre Landesgrenzen.
An der Spitze der Urlaubsländer, aus denen Reisende mit Lebensmittelinfektionen zurückkommen, liegen die Dominikanische Republik, Kenia und Ägypten (41). Der Warenaustausch findet zwischen Ländern mit unterschiedlichstem hygienischen Niveau und für diese Länder spezifischen Erregerspektren statt (41). Die Globalisierung des Handels und die zunehmende Nachfrage nach Produkten aus „aller Herren Länder“ erhöht das Risiko für Epidemien durch verunreinigte Nahrung. Bei einer Reise in wenig industrialisierte Länder wird dem Touristen bei der Nahrungsmittelauswahl geraten: „Boil it, cook it, peel it or forget it“, aber oft verspeisen die Touristen daheim das gleiche Produkt, ohne zu wissen, wo es her ist.
Daneben ist zweifellos der Trend zu den scheinbar „gesünderen“ rohen Lebensmitteln, in Unkenntnis möglicher gesundheitlicher Gefahren, mitverantwortlich für den Anstieg der Lebensmittelinfektionen in den Industrieländern (42). Eine beachtliche Zahl von Verbrauchern hat eine reduzierte Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitserreger. Sie sind also besonders empfänglich für Infektionserreger. Die Gruppe wird auf Neudeutsch als YOPIs – sehr jung (Young), alt (Old), schwanger (Pregnant) und immungeschädigt (Immuno-compromised) bezeichnet.
Sie gehört unstrittig zur „Normalbevölkerung“ und kann vom Konsum bzw. von der Lebensmittelproduktion nicht ausgegrenzt werden. Es würde in letzter Konsequenz bedeuten, daß in Geschäften und Supermärkten „YOPI – Ecken“; eingerichtet werden müßten. Sie kann sich folglich nur durch eine konsequente Hygiene schützen.
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