Massiver Antibiotikaeinsatz bei Kindern; Leitlinien werden ignoriert; resistente Keime werden zu Problem
Gütersloh (aho) – Kindern erhalten in Deutschland insgesamt deutlich mehr Antibiotika als Erwachsenen. Bundesweit wird jedem zweiten Kind zwischen drei und sechs Jahren mindestens ein Antibiotikum pro Jahr verschrieben – deutlich mehr als Erwachsenen. Aber nicht immer ist dies sinnvoll und notwendig. Das belegt der „Faktencheck Gesundheit“ der Bertelsmann Stiftung. Ob einem Kind ein Antibiotikum verschrieben wird oder nicht, ist in Deutschland auch vom Wohnort abhängig: Kinder im Nordosten Deutschlands erhalten doppelt so häufig Antibiotika wie Kinder in Süddeutschland.
Das Internetportal „Faktencheck Gesundheit“ zeigt medizinische Behandlungsgebiete auf, bei denen es große regionale Versorgungsunterschiede innerhalb Deutschlands gibt. Der heute veröffentlichte Faktencheck „Antibiotika-Verordnungen bei Kindern“ befasst sich mit der Verordnungspraxis von Antibiotika für Kinder und Jugendliche. „Die Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen sind riesig“, sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. „In einigen Landkreisen im Osten Mecklenburg-Vorpommerns erhielte die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren mindestens ein Mal ein Antibiotikum vom Arzt verordnet. Das sind doppelt so viele wie beispielsweise in bestimmten Landkreisen im südlichen Bayern.“ Grundlage der repräsentativen Untersuchung bildeten die Versicherten-Daten der BARMER GEK.
Unsinniger Antibiotikaeinsatz bei Virusinfekten
Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersuchte Prof. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen die möglichen Hintergründe, Ursachen und Folgen der Verordnungspraxis. Besonders häufig werden danach Antibiotika bei akuter Mittelohrentzündung, fiebriger Erkältung und Grippe eingesetzt. Da es sich hierbei aber meistens um Virusinfekte handelt, helfen Antibiotika vielfach gar nicht, da sie nur gegen bakterielle Keime wirken. Werden sie zu häufig und unnötig eingenommen, besteht vielmehr die Gefahr, dass sie keine Wirkung mehr zeigen, wenn sie wirklich notwendig sind. Bereits jetzt stellen resistente bakterielle Erreger in Krankenhäusern ein großes Problem dar. Antibiotika sollten daher bei Atemwegsinfektionen und Mittelohrentzündungen nur gemäß den geltenden medizinischen Leitlinien verordnet werden.
Die Auswertung zeige auch, dass verschiedene Facharztgruppen sehr unterschiedlich verschreiben, bemerkt Stefan Etgeton: „Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, bei denen Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen angezeigt sind, verordneten 33 Prozent der Haus-ärzte Antibiotika, aber nur 17 Prozent der Kinderärzte und 9 Prozent der HNO-Ärzte. Bei Lungenentzündung, wo die Verordnung von Antibiotika angezeigt ist, waren es 80 Prozent der Kinderärzte, aber nur 66 Prozent der Hausärzte.“
Der „Faktencheck Gesundheit“ macht eine Reihe von Vorschlägen, wie die häufige Verordnung und Einnahme von Antibiotika eingedämmt werden kann. So sollten Allgemein-, Kinder- und HNO-Ärzte die medizinischen Leitlinien stärker berücksichtigen. Auch eine übergreifende Leitlinie zum Antibiotika-Einsatz wäre zu erwägen. Patienten sollten verstärkt darüber aufgeklärt werden, wann Antibiotika tatsächlich sinnvoll sind und wann ihr Einsatz eher Risiken hervorruft.
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