Bundestierärztekammer fordert Abkehr vom Zuchtziel „große Würfe“ in der Schweinezucht; Hannover will kontrollieren
Berlin/Hannover (aho) – Die Reportage „Deutschlands Ferkelfabriken“ des Nachrichtenmagazins „Report Mainz“, in der gezeigt wurde, wie neugeborene Ferkel im Vorübergehen erschlagen und in überquellenden Kadavertonnen entsorgt werden, hat zu deutlichen Reaktionen geführt.
Die Bundestierärztekammer forderte in einer Presseinformation einen Stopp dieser tierschutzwidrigen Praxis und eine Abkehr vom züchterischen Ziel, große Würfe um jeden Preis zu produzieren. Bereits im November 2011 hatte sich der Ausschuss für Schweine der Bundestierärztekammer (BTK) in einer Stellungnahme gegen die Produktion überzähliger Ferkel ausgesprochen und die Ferkeltötungen als großes tierschutzrelevantes Problem abgelehnt. Denn – wie im Filmbeitrag beschrieben – Hintergrund der Tötungen ist die aus dem vorherrschenden Zuchtziel hervorgegangene fast pathologisch erhöhte Ferkelzahl.
„Ein Systemfehler“, wie Prof. Dr. Theo Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer, in einer erklärt. „Vor allem der Einsatz dänischer Sauen hat genetisch zu sogenannten ‘Vielferklern’ geführt, die Sauen werfen viel mehr Ferkel als sie Zitzen haben. Dabei ist bekannt, dass es ab einer Wurfgröße von ca. zwölf Ferkeln zu einer erhöhten Sterblichkeit der Neugeborenen kommt, denn die durchschnittlichen Geburtsgewichte sind viel zu niedrig: Die untergewichtigen Ferkel kühlen nach der Geburt schneller aus, besitzen weniger Energiereserven und haben Probleme, überhaupt das Gesäuge zu erreichen.“
Nur eindeutig „nicht überlebensfähige“ dürfen getötet werden
Diese „überzähligen“ Ferkel müssen laut Mitteilung der BTK gesondert – entweder mit künstlichen Ammen oder Ammensauen – aufgezogen werden. Doch das ist in der Praxis die Ausnahme, zumal dabei zwischen „nicht überlebensfähigen“ und „lebensschwachen“ Ferkeln differenziert werden müsste. So dürfen eindeutig „nicht überlebensfähige“ Tiere zwar „notgetötet“ (z.B. Ferkel mit schweren Geburtsfehlern) werden. Dies darf laut Tierschutzgesetz jedoch nur von einer sachkundigen Person und nach vorheriger Betäubung erfolgen – im Falle der schockierenden Fernsehbilder ein eindeutiger Verstoß, so die BTK. Von der Tatsache ganz abgesehen, dass – so auch eine Stellungnahme der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) – das Töten aufgrund von „Überzähligkeit“ nicht erlaubt ist.
Mantel: „Für uns stellt das Zuchtziel auf erhöhte Ferkelzahl und damit die billigend in Kauf genommene Produktion nicht überlebensfähiger Tiere letztlich eine Qualzucht und damit einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar. Wir fordern daher aus tierärztlicher Sicht, die Zuchtziele umgehend zu ändern. Es kann nicht sein, dass hier ohne ‘vernünftigen Grund’ lebensschwache Ferkel erst produziert und dann getötet werden!“ Eine Forderung, die sich auf Paragraph 11 b des Tierschutzgesetzes stützt, der deutlich signalisiert, dass in der Zucht nicht alles erlaubt ist. Im Falle der Schweinezucht also sinngemäß verlangt, dass die genetisch bedingte Zahl der Ferkel die Aufzuchtkapazitäten des Muttertiers (Zitzenzahl u. ä.) nicht dauernd überschreiten darf.
Hannover will kontrollieren
Wie das Agrarministerium in Hannover heute mitteilte, sollen zukünftig die zuständigen kommunalen Behörden stichprobenartig Kontrollen vornehmen. Hierzu sollen dem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) für Untersuchungen Ferkelkadaver aus den Kadavertonnen zur Verfügung gestellt werden. Das LAVES prüft dann, ob die Tiere tierschutzgerecht getötet worden sind, und ob überhaupt ein hinreichend vernünftiger Grund dafür vorlag. Das Ministerium hat die Landkreise zudem aufgefordert, über die Zahl und die Ergebnisse der eingeleiteten Kontrollen in Schweineställen Bericht zu erstatten.
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