Zukunftspessimismus in der Landwirtschaft auf Dauer nicht tragbar
Nationale Alleingänge belasten den Arbeitsmarkt – Probleme des 21. Jahrhunderts nur mit Maschinen, modernsten Technologien und professioneller Organisationen zu lösen – Max-Eyth-Abend auf der Agritechnica am 12. November 2001
(DLG). „Am Beginn dieses 21. Jahrhunderts herrscht vielerorts in der Landwirtschaft Pessimismus vor. Nationale Antworten der EU-Staaten auf europäische Probleme wie Umweltschutz, Tierschutz, Gentechnik oder Lebensmittelsicherheit sind in einem gemeinsamen Binnenmarkt unzureichend und führen zu Wettbewerbsverzerrungen.“ Dies erklärte der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) Philip Freiherr von dem Bussche anlässlich des Max-Eyth-Abends, der Eröffnungsveranstaltung der Landtechnik-Ausstellung Agritechnica am 12. November 2001 in Hannover.
Nach Ansicht des DLG-Präsidenten ist die Verunsicherung unter den Landwirten angesichts solcher Alleingänge, wie jüngst in der ennenhaltung, groß, zumal dem offensichtlich weitere folgen sollen. „Die Landwirte wehren sich nicht gegen die Verbesserung der Tierhaltung, sondern sie wollen eine Umsetzung auf fachlich-wissenschaftlicher Grundlage und einheitlich im gemeinsamen Binnenmarkt,“ betonte Freiherr von dem Bussche. Das Vertrauen der Landwirte in die Politik werde andernfalls erheblich belastet. „Eine so große Diskrepanz zwischen wirtschaftlich befriedigenden Ergebnissen und einem vorherrschenden Zukunftspessimismus in der Landwirtschaft wie zur Zeit hat es jedenfalls bisher noch nicht gegeben und ist auf Dauer nicht tragbar. Es fehlt die langfristige Planungssicherheit mit der Folge des gegenwärtig zu verzeichnenden Investitionsstaus, vor allem in der Tierhaltung.“
„Dieser Zustand muss sich ändern.“ Die Landwirtschaft sei das zentrale Bindeglied zwischen der Landmaschinen-, Pflanzenschutz und Düngemittel- industrie einerseits und der Ernährungsindustrie und des Handels andererseits. Jeder neunte Arbeitsplatz in unserer Volkswirtschaft hänge von der Landwirtschaft ab. Nach Meinung des DLG-Präsidenten belasten die nationalen Alleingänge den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum. Es bestehe die Gefahr eines dramatischen Trendwechsels bei den Terms of Trades. „Mit nationaler Politik in einem offenen Binnenmarkt sorgen wir für den Export von Arbeitsplätzen und den Import von Nahrungsmitteln. Auf die Qualität dieser Nahrungsmittel und die Umwelt- sowie Tierschutzbedingungen ihrer Erzeugung haben wir kaum Einfluss. Damit werden nicht nur Landwirte, sondern auch Mittelstand und Arbeitsplätze im ländlichen Raum gefährdet. Vor derart weitreichenden Entscheidungen der Politik, wie etwa im Bereich der Hennenhaltung, müssen tragfähige Alternativen und wissenschaftliche Bewertungen berücksichtigt werden.
Der DLG-Präsident führte weiterhin unter anderem folgendes aus:
Ohne Armuts- und Hungerbekämpfung gibt es weder Frieden noch Freiheit in der Welt. Die Landwirtschaft muss hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten: Unter Schonung der Flächen und weiterer Ressourcen ausreichend Nahrungsmittel zu erzeugen, um den Grundstein für die weltweite Wohlstands- entwicklung zu legen. So steht es auch im Abschlussdokument der Konferenz von Rio, im Kapitel 14 der Agenda 21. Mit den Worten des Landwirts könnte man es so beschreiben: Wer zur Produktion von 10 Tonnen Weizen einen Hektar statt zwei benötigt, erbringt einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, vor allem weil moderne Verfahren hierbei eine wesentlich verbesserte Ressourcen-Eiffizienz ermöglichen.
Ressourcen- und Umweltschonung durch moderne Technologie, nicht durch Politk
Die Landwirtschaft wird sich vom globalen Wettbewerb nicht ausschließen können. Die bevorstehenden WTO-Verhandlungen und die Erweiterung der EU werden zu einer weiteren Liberalisierung der Agrarmärkte führen. Der zunehmende Wettbewerb wird den Kostendruck auf die Betriebe erhöhen und den Strukturwandel in der europäischen Landwirtschaft voran treiben. Die landwirtschaftlichen Betriebe werden sich weiter spezialisieren. Gleichzeitig wird die Erzeugung ressourcenschonender und umweltfreundlicher stattfinden, als wir uns das heute vorstellen können. Den entscheidenden Beitrag zu dieser positiven Entwicklung wird die Technologie leisten und nicht die Politik. Diese zunehmende Vielfalt unseres Sektors deckt die Agritechnica schon heute mit ihren Botschaften ab: Es werden Problem- lösungen sowohl für die Kostenführer auf den Weltmärkten angeboten als auch für die regionalen Spezialisten, die ihr Wertschöpfungspotential im Gemüsebau, im Ökoanbau oder in der Landschaftspflege weiter ausbauen wollen. Selbstverständlich stehen dabei immer die Umweltverträglichkeit der Produktion und die Sicherheit der Lebensmittel für alle Wirtschaftsweisen im Blickpunkt.
Ökonomische, ökologische und soziale Anforderungen berücksichtigen
Aus gesellschaftlicher und globaler Verantwortung heraus reicht es nicht mehr aus, in reichen Volkswirtschaften die Lebensmittelqualität zu verbessern und hochpreisige Nischen zu besetzen, wenn in vielen Teilen der Welt Armut und Hunger herrschen. Im übrigen gibt es auch in den hochentwickelten Gesell- schaften einen zunehmenden Anteil von Verbrauchern, die aus sozialen Gründen auf niedrige Lebensmittelpreise angewiesen sind, ohne deswegen bei Qualität und Sicherheit Abstriche machen zu müssen. Das dafür erforderliche Angebot wird der Handel zunehmend im Ausland beziehen mit Tierschutz- und Umwelt- standards, auf die wir keinen Einfluss nehmen können. Wir brauchen eine nachhaltige Landwirtschaft, die langfristig den ökonomischen, den ökologischen und den sozialen Anforderungen unserer Industriegesellschaften entspricht. Diese nachhaltige Landwirtschaft ist keine Utopie, sondern vielmehr ein Konzept, um die Ressourcen unseres Planeten zu schonen, die Bedürfnisse der verschiedenen Gesellschaften zu berücksichtigen und die Vorteile der Globalisierung zu nutzen. Die nachhaltige Wirtschaftsweise ist ein dynamischer Prozess, der durch die Umsetzung technischer und wissenschaftlicher Innovationen in der Praxis stetig optimiert wird. Nachhaltigkeit im Sinne der Agenda 21 setzt Wissen, Kapital und Innovationen voraus und ist genau das Gegenteil von einem Museumsbauernhof. Dies unterstreicht die Agritechnica in ihrem Special „Bodenschutz“. Hier wird demonstriert, wie durch innovative technische Entwicklungen und standortangepasste Verfahren eine nachhaltige Bodennutzung realisiert wird.
Desinformation ist die Wurzel für die Technologiefeindlichkeit der Gesellschaft
Der entscheidende Motor des gesellschaftlichen Wohlstandes Europas, und ganz besonders Deutschlands, war die herausragende Ingenieurskunst. Die erzielten Produktivitätsgewinne der Landwirtschaft wurden an den Verbraucher weiter- gegeben und bescherten ihm eine große Auswahl von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu einem historischen Niedrigpreis. Heute betrachtet die Wohlstandsgesellschaft den technischen Fortschritt in der Landwirtschaft zunehmend kritischer. Das ist ungerechtfertigt, denn die immer weiter steigenden Löhne und Gehälter der Industriegesellschaft sind der eigentliche Auslöser der Mechanisierung der Landwirtschaft. Die gut verdienende Gesellschaft zwingt den Landwirt zu einem mit ihr konkurrenzfähigen Arbeitseinkommen. Und das geht nur mit dem Einsatz von Maschinen und Computern. Eine moderne Gesellschaft bringt also zwangsläufig eine moderne Landwirtschaft hervor. Diese Herausforderung muss die Gesellschaft als Ganzes meistern. Das heißt auch, dass die Probleme des 21. Jahrhunderts ohne Maschinen, modernste Technologien und professionelle Organisationen nicht gelöst werden können. Die Zukunft der Menschheit ist eine gigantische Herausforderung an ihre eigene Technologie. Durch den Einsatz neuer technischer Verfahren wie Satellitenbilder, Stickstoff-Sensoren, Bodenschonung oder auch gentechnisch veränderte Pflanzen wird sich der Pflanzenbau weiter entwickeln. Technische und wissenschaftliche Innovationen sind in Zukunft mehr denn je gefragt. Ich glaube, wir alle brauchen den Mut, uns zu unserer modernen, von Technik bestimmten Landwirtschaft zu bekennen. Wir müssen die Technologiefeindlichkeit unserer Gesellschaft an ihrer Wurzel – nämlich der verbreiteten Desinformation – angehen und den Nutzen moderner Technik für Mensch, Tier und Umwelt aufzeigen. Eine prinzipielle Technikfeindlichkeit führt an den Realitäten vorbei und ist zutiefst inhuman.