Umwelt: Dioxin verliert seinen Schrecken
Muss das “Ultragift” neu bewertet werden?
(eule) Das “Ultragift TCDD“ (Dioxin) bereitet den Wissenschaftlern Kopfzerbrechen. Wie soll man eine Substanz bewerten, auf die sogar verwandte Versuchstiere extrem unterschiedlich reagieren: Meerschweinchen sind beispielsweise 2.500mal empfindlicher als Hamster. Die Übertragung von Tierversuchen auf den Menschen blieb daher stets spekulativ.
Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC konnte sich erst 1997 dazu entschließen, TCDD (Dioxin) als krebserregend für den Menschen einzustufen. Anlass für die Entscheidung war unter anderem die Beobachtung, dass von über 5.000 Chemiearbeitern, deren TCDD-Gehalte im Blut 300fach erhöht waren, 15% mehr als erwartet an Krebs gestorben waren. Auch Jahre später lag die Krebssterblichkeit bei ihnen durchschnittlich um 13% höher als bei der übrigen Bevölkerung. Wer Spitzenbelastungen ausgesetzt war, dessen Risiko stieg sogar um 25%. Die gleichzeitig erhobenen Daten für Herzinfarkt und Diabetes sind unauffällig. Beim Diabetes kam es mit steigender Dioxinbelastung sogar zu einer Abnahme.
Anmerkung: Betrachtet man die Statistiken genauer, nimmt die Gesamtzahl aller Tumoren zwar deutlich (signifikant) zu, die Zunahme kann jedoch nicht auf eine bestimmte Krebsart zurückgeführt werden. Bisher musste in der Wissenschaft einer bestimmten Substanz eine ganz bestimmte Krebsart zugeordnet werden, um einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen. Die wenigen deutlichen (signifikanten) Zunahmen bestimmter Krebsarten können das Gesamtergebnis nicht erklären. So trat in der belasteten Gruppe 11mal häufiger Krebs des Bindegewebes auf. Das Resultat verliert allerdings an Brisanz, wenn man weiss, dass die Statistik nur auf drei Fällen beruht. Die Zunahme von Blasenkrebs hat nach Angaben der Autoren nichts mit dem Dio-xin zu tun, sondern ist auf die Chemikalie „4-Aminobiphenyl“ am Arbeitsplatz zurückzuführen. Diese Substanz ist dafür bekannt, dass sie Blasenkrebs hervorruft. Da sich insgesamt die Sterblichkeit (Gesamtmortalität) der Chemiearbeiter nicht von der restlichen Bevölkerung unterscheidet, trägt das Dioxin die Bezeichnung “Ultragift” zu unrecht.
An objektivierbaren Gesundheitsschäden bleibt in erster Linie die entstellende Chlorakne (schwere Hautveränderungen). Auch eine Wirkung auf das zentrale Nervensystem, die sich in schweren Depressionen äussern, ist wahrscheinlich. Bei Chemieunfällen wie in Seveso sind jedoch nicht nur Dioxine entstanden: Die Wirkung der den Dioxinen nahe verwandten „chlorierten Naphthaline“ ist bisher kaum untersucht, weil sich die Fachwelt auf das TCDD (Dioxin) konzentrierte.
Steenland K et al: Cancer, heart disease, and diabetes in workers exposed to 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin. Journal of the National Cancer Institute 1999/91/S.779-786