Kommentar: Vorbeugen
Die Ergebnisse des britischen BSE-Berichts und zahlreiche Reaktionen darauf verbreiten derzeit die Medien. Erschütternd ist daran nicht nur, dass der Bericht eröffnet, wie ungewiss noch immer die Übertragungswege und die möglichen Ausmaße sind. Erschütternd ist auch die geschilderte Einschätzung der Vorgänge als ein fast schicksalhaftes Ereignis: Niemand habe sich so richtig falsch verhalten.
Doch hätte es zahlreiche Möglichkeiten gegeben, konsequenter und rascher Maßnahmen zu ergreifen: Diese Deutung gibt der Bericht schließlich auch her. Notwendig wäre dazu der Gedanke der radikalen Vorbeugung in dem Moment gewesen, als die ersten Kühe in England am Rinderwahnsinn verendet waren. Stattdessen wurde Optimismus verbreitet, um die Verbraucher nicht unnötig zu beunruhigen und den Rindfleischabsatz der britischen Farmer nicht zu gefährden. Vernünftig war dieses Verhalten nicht. Denn eigentlich schließen die Hoffnung auf ein gutes Ende und ein Vorbereiten auf die schlimmstmögliche Variante einander nicht aus. Vielmehr erweist sich nun als schwerwiegender Fehler, dass unsinnig lange darauf beharrt wurde, dass BSE gar nicht so schlimm sei, weil Ansteckungsgefahren für den Menschen noch nicht erwiesen seien. Der Umgang mit BSE hat maßgeblichen Anteil an der Vertrauenskrise der Nahrungsmittelerzeugung und deren wissenschaftlicher Begleitung.
Daran sollten alle Verantwortlichen in Deutschland denken, wenn sie Verbrauchern Sicherheit versprechen. Ein genaues Studium des britischen BSE-Berichts wird nämlich erweisen, dass vermehrte BSE-Tests in deutschen Schlachthöfen, wie sie jetzt angekündigt wurden, nicht die einzige Maßnahme bleiben sollten, wenn größtmögliche Prävention angestrebt wird. Notwendig ist vielmehr eine grundlegende und penible Analyse aller Gefahrstellen und deren gründliche Beseitigung. Denn auch die kleinste Infektionsquelle kann nach dem britischen Bericht nicht als vernachlässigbar angesehen werden. Dort werden nämlich auch minimale Mengen Geflügel- oder Schweinefutter, die im Rindertrog gelandet sind und infiziertes Tiermehl enthielten, für eine weitere Ausbreitung von BSE verant- wortlich gemacht. Da muss es doch auch in Deutschland heißen: Augen auf! Seien es Importe von Tiermehl aus Frankreich, wo sich derzeit eine eigene BSE-Problematik offenbart; seien es geringfügige Restbestände solcher Importe, deren Sterilisierungstechnik unbekannt ist. Zu denken ist auch an Transporte von Mischfutter über die Grenzen. Denn hier können Verunreinigungen mit unbekannten Zutaten nicht unbedingt ausgeschlossen werden. Ein genaueres Hinsehen verlangen aber auch die Lagerungs- und Fütterungspraxis auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Für alle kleinen Schwachpunkte in der langen Kette vom Futtermittel bis zum Fleisch auf dem Teller gilt es, das Bewusstsein aller Beteiligten zu schärfen. Erst dann kann Sicherheit garantiert werden.
Solche Überlegungen als übertrieben oder hysterisch abzutun, würde dem langjährigen Vorgehen der britischen Verantwortlichen nur allzu sehr gleichen. Britische Politiker sind mit der Bagatellisierung potenzieller Gefahren ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Verbraucher nicht gerecht geworden. Dies ist eine der wichtigsten Lehren aus dem BSE-Untersuchungsbericht.
Aktueller Wochenend-Kommentar vom 4. November 2000 AGRARZEITUNG ERNÄHRUNGSDIENST von Brigitte Stein, Frankfurt a.M.