Ferkel-Kastration unter Isofluran-Gasnarkose: Bei Neuland seit Jahren ohne Rechtsgrundlage und behördlicher Überwachung?
Gnarrenburg/Oldenburg (aho) – Bereits seit Mai 2008 kastriert die Erzeugergemeinschaft „Neuland“ ihre Ferkel unter Isoflurannarkose. Die Anwendung dieses Gases wurde immer wieder von Tierärzten als „illegal“ kritisiert, da das Arzneimittel keine Zulassung für das Schwein hat und mit den Wirkstoffen Ketamin (Ursotamin®) und Azaperon (Stresnil®) zwei für das Schwein zugelassene Produkte zur Verfügung stehen, die sich in Kombination als Injektionsnarkose mit effektiver Schmerzausschaltung bewährt haben. Das Tierärztejournal „VETImpulse“ geht in der aktuellen Ausgabe (Ausg. 1; 1. Januar 2012) dieser Rechtsfrage nach.
Dr. Henry Ottilie vom Institut für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie der Universität Leipzig und Mitarbeiter des Arzneimittelinformationsdienstes Vetidata, sagte mit Hinweis auf die zugelassenen Wirkstoffe Azaperon und Ketamin dem Blatt: „Es existiert kein Therapienotstand“. Diesen müsste aber ein behandelnder Tierarzt aber streng genommen für jeden einzelnen Fall formulieren und vom zuständigen Veterinäramt eine sogenannte Umwidmung genehmigen lassen. Im Rahmen der Kastration dürfte es allerdings schwer fallen, für jedes Ferkel nachzuweisen, dass es die Injektionsnarkose nicht verträgt, so VETImpulse in dem Bericht.
Neuland-Bundesgeschäftsführer Jochen Dettmer verwies im Bezug auf die rechtliche Grundlage der Isoflurananwendung im Gespräch mit dem Blatt auf das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV). Die Anwendung sei mit dem Ministerium abgestimmt. Beim BMELV wusste man auf VETimpulse-Nachfrage hiervon allerdings nichts.
Für die Überwachung von Arzneimitteln und deren Umwidmung sind die Landesbehörden zuständig. In Niedersachsen wäre dies das LAVES (Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) in Oldenburg und die Veterinärämter. Bisher ist es VETimpulse nicht gelungen einen Ansprechpartner zu finden, der diese Umwidmung genehmigt hätte.
Hintergrund Isofluran
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic weist aus fachlicher Sicht über Konsequenzen und Risiken, die aus einem großflächigen Einsatz von Isofluran resultieren können.
Bei der vorgesehenen Methode sollen mobile Narkosegeräte zum Einsatz kommen. Die Ferkel atmen das Isofluran während rund zwei Minuten über eine Gesichtsmaske ein. Sobald sie betäubt sind, können sie kastriert werden. Isofluran ist bei fachgerechtem Einsatz ein verlässliches und sicheres Narkotikum, so Swissmedic. Es stellt aber bei der Anwendung besondere Anforderungen an die Überwachung der Tiere, die Geräte und die Sachkenntnis der anwendenden Person. Isofluran ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und darf nur gegen ärztliches Rezept oder durch den Tierarzt abgegeben werden. Isofluran verfügt über eine geringe schmerzausschaltende Wirkung und dies kurzzeitig während der Dauer der Anästhesie. Aus diesem Grunde wird von Fachkreisen der Einsatz von Isofluran nur gemeinsam mit einem injizierbaren Schmerzmittel empfohlen.
Klimaschädlich
Isofluran ist sehr leicht flüchtig. Die Räume, in denen Isofluran eingesetzt wird, müssen darum gut belüftet sein und sollten mit einem aktiven Abzug ausgerüstet sein. Bei der Befüllung des Narkosegerätes und dem Umfüllen von Isofluran muss darauf geachtet werden, dass kein entwichenes Narkosegas eingeatmet werden kann. Beim Transport von Isofluran in mobilen Narkosegeräten in Personenwagen können außerdem weitere Risiken entstehen, so Swissmedic.
Isofluran kann zudem laut der Stellungnahme von Swissmedic einen schädigenden Einfluss auf das Klima haben. Es ist für die Zerstörung der Ozonschicht mit verantwortlich und außerdem ist es als Treibhausgas rund 500 mal stärker klimawirksam als CO2. Würden alle rund 1.3 Millionen männlichen Ferkel in der Schweiz unter Isofluran-Narkose kastriert, würden jährlich rund 1.95 Tonnen Isofluran freigesetzt. Dies entspricht derselben Auswirkung auf das Klima wie eine jährliche Freisetzung von knapp 1.000 Tonnen CO2.
Darum ist bei den in der Schweiz zugelassenen Präparaten festgelegt, dass Isofluran nicht direkt in die Umgebungsluft gelangen darf, sondern die Isofluran-haltige Abluft über Aktivkohle gefiltert werden soll.
Legt man die Berechnungen von Swissmedic zu Grunde, so würde die Verwendung von Isofluran bei durchschnittlich 23 Millionen männlicher Ferkel in Deutschland ein Verbrauch von circa 35 Tonnen Isofluran resultieren. Dies entspräche 17.500 Tonnen CO2.
Hintergrund Neuland
Der Deutsche Tierschutzbund e. V. hat 1988 zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), dem Bundeskongress entwicklungspolitischer Gruppen (BUKO) und der Verbraucher-Initiative (VI) den NEULAND-Verein gegründet und die NEULAND-Richtlinien festgelegt.
Auf 35 NEULAND-Höfen werden jedes Jahr rund 13.500 Ferkel unter Isofluran-Gasnarkose kastriert. NEULAND hat vier Narkosegeräte angeschafft und nutzt diese im überbetrieblichen Einsatz. Da eine Betäubung mit dem Inhalationsgas Isofluran in Deutschland nur von einem Tierarzt durchgeführt werden darf, fahren Tierärzte mit den Geräten von Hof zu Hof und führen die Kastration durch.
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