NRW: Aufklärungsaktion soll Antibiotikamissbrauch in der Humanmedizin eindämmen
Düsseldorf (aho) – „Fast jede dritte Antibiotika-Verordnung ist nach Studien unnötig. Bakterien werden zunehmend widerstandsfähig gegen Antibiotika, so dass die Medikamente nicht mehr wirken. Dies ist ein weltweites Problem, das auch auf den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika zurückzuführen ist. Gemeinsam mit der Ärzteschaft in Nordrhein-Westfalen wollen wir deshalb den Verbrauch von Antibiotika und damit das Risiko der Bildung von Resistenzen reduzieren“, erklärte Ministerin Barbara Steffens (Grüne) zum Start der Aktion heute (3. November 2015) in Düsseldorf. Besorgniserregend sei vor allem, dass zunehmend sogenannte Reserve-Antibiotika verschrieben würden, sagte die Ministerin.
Antibiotika sind Medikamente, die Bakterien abtöten oder hemmen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Erkrankungen, die durch Bakterien ausgelöst werden, wie Blutvergiftungen, Entzündungen der Haut, Lungenentzündungen oder Tuberkulose sehr gut behandeln. Antibiotika wirken aber nicht bei Krankheiten, die durch andere Erreger (z.B. Viren) ausgelöst werden wie zum Beispiel Windpocken oder Hautinfektionen durch Pilze. Auch die meisten Erkältungskrankheiten, die sich durch Schnupfen, Husten oder Halsschmerzen bemerkbar machen, werden durch Viren ausgelöst. Dann nützt es nichts, ein Antibiotikum zu nehmen, heißt es in einer Presseinformation des Ministeriums.
In Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe erhalten rund 17.000 Ärztinnen und Ärzte für Ihre Praxen Aufklärungsplakate über Antibiotika sowie Informationsbroschüren für Patientinnen und Patienten. Die Broschüre erklärt kompakt und leicht verständlich die Wirkung und richtige Einnahme von Antibiotika, aber auch, bei welchen Erkrankungen sie nichts nützen. Zudem wird auf den Zusammenhang zwischen unnötiger oder falscher Einnahme von Antibiotika, dem Risiko resistenter Bakterien und den Folgen hingewiesen.
Dr. Wolfgang-Axel Dryden, 1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, sagte zum Start der Kampagne: „Im Praxisalltag ist es für uns Ärzte oft sehr mühsam, den Patienten zu erklären, dass Antibiotika nicht immer angebracht sind. Die Erwartungshaltung der Patienten, ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen, ist einfach enorm groß. Die Antibiotika-Aufklärungsaktion des Gesundheitsministeriums ist vor diesem Hintergrund sehr wichtig. Denn durch einen zu breiten Einsatz von Antibiotika werden resistente Mikroorganismen gezüchtet. Bei echtem Bedarf wirken die Antibiotika dann nicht mehr. Damit sich möglichst wenige Resistenzen ausbilden können, muss das Antibiotikum gezielt zum Erreger passen und lange genug und in der richtigen Dosierung eingenommen werden. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe informiert ihre Mitglieder diesbezüglich seit Jahren. Erste Erfolge sind sichtbar: Die Verordnung von Antibiotika ist leicht rückläufig.“
Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dr. Peter Potthoff, begrüßt die Aufklärungsaktion: „Der sinnvolle Umgang mit Antibiotika ist ein wesentlicher Schritt zur Bekämpfung von multiresistenten Erregern. Um diese Erreger einzudämmen, müssen Infektionsketten – z.B. zwischen Praxis und Krankenhaus – durchbrochen werden. Deshalb begrüße ich die heute vorgestellte Informations- und Aufklärungskampagne des Ministeriums. Im Kampf gegen Infektionen sind Antibiotika immer noch unser wichtigstes Hilfsmittel. Damit wir es auch in Zukunft einsetzen können, müssen wir es umsichtig und maßvoll einsetzen.“
Hintergrund
- Etwa 85 Prozent der Antibiotika in Deutschland werden im ambulanten Bereich verschrieben. (Quelle: GERMAP 2012*)
- Nordrhein-Westfalen liegt bundesweit an der Spitze der Antibiotika-Verordnungsdichte. Während in Deutschland durchschnittlich 13,4 Tagesdosen pro 1.000 Einwohner pro Tag (DDD/1.000/d) ambulant verordnet werden, sind es in NRW 17,3 (DDD/1.000/d). Danach liegt die Zahl der Verordnungen in NRW um rund 29 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im unteren Drittel der Versorgungsdichte. (Quelle: GERMAP 2012)
- Zwar ist die Menge der ambulant verordneten Antibiotika in Deutschland seit Jahren relativ konstant, aber der Anteil der Reserveantibiotika, die besonders schwerwiegenden Erkrankungen vorbehalten sein sollen, steigt. Der Einsatz von Reserveantibiotika erhöht das Risiko für Resistenzbildungen.
(Quelle: GERMAP 2012) - Rund 30 Prozent der verordneten Antibiotika werden unnötig oder nicht den Behandlungsleitlinien entsprechend verordnet. Etwa bei Krankheiten, die ganz überwiegend durch Viren ausgelöst werden, wie Infektionen der oberen Atemwege, Husten, Bronchitis.
(Quelle: DAK Antibiotika-Report 2014)
*GERMAP: Arbeitsgruppe auf Initiative des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. und der Infektiologie Freiburg: GERMAP 2012 – Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Antiinfectives Intelligence, Rheinbach, 2014
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