Ärzteschaft agiert weiter mit Schuldzuweisungen: Lösungsorientierte Diskussion beim Fachgespräch „Antibiotika in der Medizin“ erforderlich
Frankfurt a. M. (bpt) – Der fachgerechte Einsatz von Antibiotika nach angemessener individueller Diagnose soll gefördert werden. Dazu haben sich die Staats- und Regierungschefs der G7 auf dem diesjährigen Gipfeltreffen in Elmau verpflichtet und sich nachdrücklich zum One Health-Ansatz, der die Gesundheit von Mensch und Tier sowie Landwirtschaft und Umwelt einbezieht, bekannt. „Das ist ebenso erfreulich, wie die überarbeitete deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART 2020, die kurz vor dem Gipfel veröffentlicht wurde und diesen Ansatz auch verfolgt“, erklärt der Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt), Dr. Hans-Joachim Götz. „Die Politik hat das Problem verstanden. Jetzt könnte man sich eigentlich auf lösungsorientierte Diskussionen konzentrieren. Das Fachgespräch „Antibiotika in der Medizin – Eine Gesundheit für Mensch und Tier“, zu dem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 1. Juli in den Reichstag eingeladen hat, böte dafür eine gute Gelegenheit.“
Die Beschlüsse des 118. Ärztetages sprechen jedoch dagegen. Die organisierte Ärzteschaft ignoriert offenbar noch immer die eigene Verantwortung und agiert lieber weiter mit Schuldzuweisungen und unreflektierten Forderungen in Richtung Veterinärmedizin. So soll nach dem Willen der Ärzte der Verbrauch der so genannten Reserveantibiotika Fluorchinolone und Cephalosporine der 3./4. Generation in der Veterinärmedizin verboten oder zumindest auf klar umgrenzte Einzelfälle gesetzlich eingeschränkt werden. Der Grund dafür: Diese Antibiotikagruppen seien angeblich unverzichtbarer Bestandteil verschiedener Leitlinien zur antibiotischen Therapie in der Humanmedizin (TOP I-43). Aber wie steht es wirklich um diese „eiserne Reserve“ in der Humanmedizin? Antibiotika beider Wirkstoffklassen werden von Ärzten seit Jahren fast inflationär eingesetzt. Die Gesamtmenge der in Deutschland verordneten Cephalosporine hat sich nach Aussagen von Professor Winfried Kern von der Abteilung Infektiologie des Universitätsklinikums Freiburg seit 2006 verdoppelt und Fluorchinolone haben um 17 Prozent zugelegt. Bei unter 15-jährigen Patienten ist fast jedes zweite verordnete Antibiotikum ein orales Cephalosporin. Bei Menschen über 70 machen orale Cephalosporine und Fluorchinolone zusammen mehr als die Hälfte der Verordnungen aus. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat darauf hingewiesen, dass diese Wirkstoffklassen in der Humanmedizin keine „Reserve“ darstellen, sondern häufig Mittel der Wahl für die Therapie spezifischer Infektionserkrankungen sind.
Kritisiert wird seitens der Ärzte auch der 10-Punkte-Plan gegen antimikrobielle Resistenzen von Bundesminister Gröhe hinsichtlich der Einführung verpflichtender Fortbildung von medizinischem Personal im Bereich der rationalen Antibiotika-Therapie. Ein Argument: Die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten werde erschwert, weil in der Tiermast in Deutschland mehr als doppelt so viele Antibiotika eingesetzt werden wie in der Humanmedizin. Dadurch steige die Entwicklung von Resistenzen, was wiederum die Gesundheit der Menschen gefährde (TOP I-17). „Die bedenkliche Resistenzlage in der Humanmedizin ist nachweislich die direkte Folge des seit Jahren überdurchschnittlichen Verschreibungsverhaltens der Humanmediziner“, betont Götz. Resistenzen entstehen dort, wo entsprechende Wirkstoffe eingesetzt werden. Das zeigt auch die Resistenzsituation von ausschließlich der Humanmedizin vorbehaltenen Wirkstoffen mit dem Status „Reserveantibiotika“ (Stichwort: „Glykopeptid-resistente Enterokokken). „Da nutzt es auch nichts, wenn der Ärztetag in seinen Beschlüssen veraltete Antibiotikamengenangaben aus der Veterinärmedizin verwendet und diesen einen angeblich um die Hälfte geringeren Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin gegenüberstellt. Es gibt bis heute keine Statistik, die den Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin ähnlich transparent wie in der Veterinärmedizin darstellt. Die Mengenangaben aus der Humanmedizin werden auf der Basis von Daten der gesetzlichen Krankenkassen lediglich geschätzt. Antibiotika, die Privatversicherten verordnet werden, sind dabei auch nicht berücksichtigt. Aber selbst 800 Tonnen reichen schon aus. Wenn mindestens jedes zweite in der Humanmedizin eingesetzte Antibiotikum ein „Reserveantibiotikum“ ist, wie es die Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigen, wären es 400 Tonnen dieser angeblichen „Reserve“, die jährlich verbraucht werden. Im Gegensatz dazu sind es in der Veterinärmedizin nicht mal 16 Tonnen.
Tatsache ist, auf die Verwendung von Fluorchinolone und Cephalosporine der 3./4. Generation kann bei der Behandlung von Tieren nicht verzichtet werden, soll es nicht zum Therapienotstand mit allen Konsequenzen für die Tiergesundheit und den Tierschutz kommen. Gleichwohl muss der Einsatz von Reserveantibiotika immer eine Einzelfallentscheidung bleiben. Die bereits seit dem Jahr 2000 in der Tiermedizin etablierten Antibiotikaleitlinien sorgen für eine verantwortungsvolle Verwendung. Götz wünscht sich deshalb eine realistische Auseinandersetzung seitens der Ärzteschaft mit dieser Problematik. „Es muss doch endlich möglich sein, mit der Humanmedizin konstruktiv im Sinne „Eine Medizin für Mensch und Tier“ zusammenzuarbeiten.“
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