Kolbenfresser: Ebermast im Taumel zwischen Stinkefleisch, Qualität, Verbrauchervertrauen, Transparenz, Tierschutz und Ethik
[Blutiger Rücken nach Penisbeissen]
Eine Zwischenbilanz von Dr. Manfred Stein, Gyhum
Frankfurt/Hannover (aho) – Der Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2019 ist trotz jahrelangem Herumexperimentierens kaum einen Schritt vorangekommen. Dies wurde der Branche auf einer Veranstaltung der DLG in Frankfurt im Dezember des vergangenen Jahres und zu vielen anderen Anlässen schmerzlich vor Augen geführt.
Die Fleischbranche sieht sich mit einem mehrfachen Nadelöhr konfrontiert. Zunächst gilt es die Stinkern am Schlachtband eindeutig zu identifizieren. Nach Aussage von Prof. Matthias Upmann von der Hochschule Ostwestfalen Lippe steht aber für die Schlacht- und Fleischuntersuchung derzeit noch kein amtliches Verfahren für Geruchstests am Schlachtband zur Verfügung. Selbst die an deutschen Schlachtbetrieben geübte Praxis der Geruchserkennung durch wird von Fachleuten als nicht rechtskonform kritisiert.
Keiner will Eberfleisch
Zudem stockt die Vermarktung. 98 Prozent aller Spezifikationen im heimischen Schweinefleischmarkt schließen Eberfleisch aus, war auf dem DLG-Symposium zu erfahren. Selbst auf Exportmärkten wie Südeuropa und Fernost ist der Absatz mehr als mühsam. Und so lassen sich immer mehr Schlachtunternehmen den Mehraufwand bei der Vermarktung von Mastebern und Rücklieferungen von geruchsbelastetem Fleisch durch Preisabschläge von den Mästern bezahlen.
Baustelle Tierschutz
Frau Dr. Ulrike Weiler von der Universität Hohenheim vertrat in Frankfurt die Meinung, dass bei einem Kastrationsverzicht eine getrenntgeschlechtliche Aufstallung ein Muss ist. Es muss nach Meinung der Expertin vermieden werden, dass bei gemischter Haltung trächtige Jungsauen in großer Zahl zur Schlachtung gelangen. Zudem muss das unter Tierschutzgesichtspunkten problematische Aggressionsverhalten der unkastrierten Eber im Blick zu gehalten werden.
In diesem Zusammenhang berichtete auf dem BpT-Kongress in Hannover die Tierärztin Marie Isernhagen von ihren Untersuchungen zum Phänomen des Penisbeißens in der Ebermast, die sie während ihrer Tätigkeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München durchgeführt hatte. In der Studie wiesen bis zu 82% der Masteber (1, 2) zum Zeitpunkt der Schlachtung mehr oder weniger dramatische Verletzungen am Penis auf. Das Phänomen wurde lange von der Branche ignoriert, marginalisiert und sogar als „böswillige Erfindung“ abgetan. Selbst Tierschutzvereine haben das Thema bislang elegant umschifft. 2015 startet die wirtschaftsgetragene Initiative Tierwohl. Wenige Berichte zu den Tierwohlproblemen in der Ebermast könnten diese Initiative in der Öffentlichkeit als Mogelpackung entlarven.
Ethisch nicht verantwortbar!
Rund drei bis fünf Prozent der Jungeber werden aufgrund ausgeprägter Geruchsauffälligkeiten als untauglich (K3-Material) beurteilt. Hochgerechnet würde dies bei flächendeckender Ebermast in Deutschland nach Aussage von Westfleisch-Vertriebschef Hubert Kelliger auf die Vernichtung von 900 Tonnen schieres Schweinefleisch (ohne Knochen) pro Woche in der Tierkörperbeseitigung hinauslaufen. Er bewertete diese Praxis als moralisch höchst bedenklich. Es sei hier an die viele Medienberichte über Lebensmittelverschwendung erinnert, bei denen Aktivisten im Abfall von Supermärkten wühlen und mit vorwurfsvollen Blick augenscheinlich verzehrfähige Bananen in die TV-Kamera halten. Wollen sich Schweinehalter, Schlachtindustrie und Handel einer derartigen Diskussion stellen? Tatsächlich wäre dies eine Steilvorlage für NGOs wie PETA und anderen ideologisch motivierten Kritikern der Tierproduktion.
Maskieren ein „No-Go“
Die Idee, die geruchsauffälligen Schlachtkörper mittels Maskierung zu hochwertigen Rohprodukten wie Salami oder Rohschinken zu verarbeiten, wird vom Fleischerhandwerk und der Fleischwarenindustrie gleichermaßen abgelehnt. Alle Marktbeteiligten haben sich seit Jahren einer größtmöglicher Transparenz bei den Produkten gegenüber dem Verbraucher verschrieben. Zudem fordern die neuen EU-Kennzeichnungsregeln für Lebensmittel die Offenlegung aller Taschenspielertricks wie „Analogkäse“ und „Klebefleisch“. Was sollte man auch aufs Etikett schreiben: „Stinkefleisch mit Tricksereien und Chemie schluckbar gemacht“?
Tatsächlich hatte die QS-GmbH – ein Unternehmen welches sich selbst der Transparenz verpflichtet sieht – bereits im Jahr 2011 an der Georg‐August‐Universität Göttingen derartige „Maskierungeffekte“ prüfen lassen.
Ausgestanden ist auch noch nicht die Diskussion um das im Eberfleisch in großen Mengen natürlich vorhandene Hormon Nandrolon.
Ausweg Improvac
Wie die DLG in ein Medieninformation weiter berichtete, stellt Experten zufolge die immunologische Kastration ein Alternativverfahren dar, das tiergerecht und wirtschaftlich tragfähig ist. Das seit 2009 in der EU zugelassene und in vielen Ländern seit mehr als einem Jahrzehnt genutzte immunologische Arzneimittels Improvac unterdrückt in einem definierten Zeitfenster den Ebergeruch und reduziert ebertypische Verhaltensweisen wie Aufspringen und Rangkämpfe.
DLG-Vizepräsident Prof. Achim Stiebing von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe präsentierte hierzu Untersuchungsergebnisse, nach denen sich die Fleischerzeugnisse von Tieren, die gegen Ebergeruch behandelt wurden, sich nicht von Fleischwaren kastrierter Tiere unterschieden. Die „Impfung“ vermeidet laut Meinung des Wissenschaftlers die Entstehung des nachteiligen Geruchs ebenso zuverlässig wie die Kastration. Die bestehenden Akzeptanzprobleme können aber laut Stiebing durch eine offene, faktenorientierte Kommunikation widerlegt werden.
(1) Isernhagen, M.
Haltung von Ebern unter herkömmlichen Mastbedingungen – Einfluss auf Tiergesundheit und Wohlbefinden
Referat am Samstag, 15. November 2014
bpt-Kongress Hannover 2014,
(2) Isernhagen M. , Stark J., Stadler J., Ritzmann M., Zoels S.
THE INCIDENCE OF PENIS INJURIES IN MALE FATTENING PIGS
Clinic for Swine, LMU Munich, Oberschleißheim, Germany
6th European Symposium of Porcine Health Management – Sorrento (Italy) May 7-9, 2014.
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