Diskussion um Schwänze, Beißer und Prämien
Göttingen (aho) – Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) will Vorreiter sein beim Verzicht auf das umstrittene Kupieren von Schweineschwänzen. Voraussichtlich noch im Lauf des Jahres soll die sogenannte Ringelschwanzprämie in Höhe von 16 bis 18 Euro pro Tier ausgelobt werden, die Schweinhalter belohnt, die auf das Kupieren der Schwänze verzichten. Das Geld soll aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) kommen. 25 Millionen Euro erwartet Niedersachsen aus dem Topf für mehr Tierwohl aus Brüssel. Das Programm liegt bei der EU-Kommission zur Genehmigung.
Voraussetzung für den Geldsegen ist, dass wenigstens 70% der Schweine eines Mastdurchgangs mit unversehrten Schwänzen zu Schlachtung gelangen. Liegt ein Landwirt darüber, geht er leer aus und bleibt auf dem Schaden sitzen. Eine vom Land Niedersachsen in Auftrag gegebene Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass die Prämie, die ein Beitrag zum Tierschutz sein soll, am Ende zu mehr Tierleid führen könnte. In den 15 Versuchsdurchgängen ist es offensichtlich nur einmal gelungen, dass mindestens 70 Prozent der Tiere mit einem unversehrten Ringelschwanz zum Schlachthof geliefert werden konnten. Teilweise wurden über 90 Prozent der Tiere während der Mast zum Teil erheblich am Schwanz verletzt.
Ursachenforschung
Währenddessen geht die Ursachenforschung weiter. Professor Dr. Jaeger, Referatsleiter im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, sieht im Schwanzbeißen primär entzündliche Vorgänge und ein systemisches Geschehen, das den gesamten Organismus betrifft. Betroffen von diesen Entzündungen sind in diesem Erklärungsmodell auch die Ohrränder, die Nieren und die Klauen. Die Ursache hierfür liegt laut Jaeger vor allem im Fütterungs- und Tränkemanagement. Der Mangel an „darmstabilisierendem Strukturfutter“ in Verbindung mit Fehlern im Tränkemanagement führt zu Instabilitäten im Verdauungstrakt; es bilden sich „Stoffwechselschlacken“, die die Blutgefäße in der Endstrombahn schädigen. Sichtbar wird dies dann an ischämischen Prozessen an der Schwanzspitze und am Ohrrand, so der Experte. Selbstverständlich dürfen dabei auch andere Faktoren, die für das Wohlbefinden und das artgerechte Verhalten der Tiere essenziell sind, nicht außer Acht gelassen werden. Hierzu gehören im Bereich der Schweinehaltung vor allem geeignetes Beschäftigungsmaterial und eine effiziente Belüftung.
Öko-Haltung ohne Vorteil
Hoffnungen, dass der Schwanzkannibalismus unter den Bedingungen des Öko-Landbaus nicht oder nur selten auftritt, haben sich nicht erfüllt. So kommt eine Studie des Instituts für Fleischhygiene und -technologie des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin zu einem ernüchternden Ergebnis: „3,5 % der Schweine aus konventioneller Herkunft und 11,8 % aus ökologisch arbeitenden Betrieben wiesen Schwanzspitzenläsionen auf.“ (1).
Die Studie belegt zudem insgesamt einen schlechten Gesundheitsstatus der Öko-Schweine.
Befunde |
Konventionelle Haltung |
Öko-Haltung |
|
|
|
Schwanzverletzungen |
3,5% |
11,8% |
Lungenentzündungen |
9,6% |
19,8% |
Herzbeutelentzündungen |
3,3% |
6,4% |
Leberschäden/Milkspots |
6,3% |
35,6% |
Abszesse insgesamt |
0,4% |
0,3% |
Auch andere Untersucher bestätigen diese Ergebnisse.
Wie Sie einem akutem Ausbruch von Schwanzkannibalismus begegnen, erfahren Sie in diesem Beitrag.
(1) Yvonne Schneider
Einflussfaktoren auf das Schwanzbeißen bei Mastschweinen unter verschiedenen Umweltbedingungen
Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Veterinärmedizin
an der Freien Universität Berlin, (2013) Journal-Nr.: 3654
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